Ja, die letzte Zeche schloss 2018. Aber deshalb ist noch längst nicht alles vorbei. Strukturwandel heißt nicht, die Geschichte zu vergessen. Im Gegenteil! Im Ruhrgebiet bleibt sie aktuell. Und punktet damit sogar in Amerika

Wann ist etwas Vergangenes nicht einfach vergessen, sondern ewiger Kult? Wann bleibt, was einmal war? Wenn Lieder gesungen werden von Menschen, die einst lebten oder über sie. Wenn Geschichten über die Zeit immer und immer wieder erzählt werden. Wenn das Historische Museen und Veranstaltungen der Gegenwart füllt. Und: Wenn sogar Merchandise-Artikel, Mode und Social-Media-Memes entstehen. Der Bergbau hat das im Ruhrgebiet geschafft. Denn keine Ära und kein Berufsstand haben die Gegend bis heute so stark geprägt. Was auch daran liegt, dass die Brauchtümer und Insignien dieser identitätsprägenden Zeit so einprägsam und gemeinschaftsstiftend sind, dass es leichtfällt und guttut, ihnen ständig neues Leben einzuhauchen.

Bergmänner der Steinkohle. Credit: picture-alliance/ dpa

 

Handfeste Kerle, die ohne jede Eitelkeit und unter großer Gefahr unter der Erde malochen, das Gesicht verrußt, die Kleidung ebenso: So haben sich Bergleute in unser Gedächtnis gebrannt. Umso mehr verwundert es da vielleicht, dass ausgerechnet der Aberglaube ein Bestandteil im Alltag vieler dieser Unverwüstlichen war, ein Aberglaube, der bis heute seine Spuren hinterlässt. Das harte Leben unter Tage weckte das Bedürfnis nach Schutz und auch nach Erklärungen für unerklärliche Phänomene wie Unglücke oder Geräusche.

Berggeister beschäftigten sogar die Wissenschaft

Die Sagen von den Berggeistern etwa sind so alt, wie der Bergbau selbst. Sie sind ein Relikt des heidnischen Götterglaubens – und machten auch vor Wissenschaftlern nicht Halt. So beschrieb Georgius Agricola, „Vater der Mineralogie“ und Begründer der modernen Geologie und Bergbaukunde, geheimnisvolle Erscheinungen im Bergwerk, die oft übernatürlich gedeutet wurden. Im Laufe der Zeit verband sich der ursprüngliche Aberglaube mit dem christlichen Glauben. Schutzpatrone wie die Heilige Barbara wurden für die Bergleute von großer Wichtigkeit. Jährlich am Barbaratag (4. Dezember) wurde ihr gedacht, teilweise ist dieser Brauch bis heute erhalten. Auch das Schichtgebet vor und nach der Arbeit war ebenso üblich und wurde kollektiv vollzogen. Die Kirchen im Ruhrgebiet reflektieren oft diese Verbindung zum Bergbau mit entsprechend gestalteten Fenstern oder Statuen der Heiligen Barbara.

Georg Agricola, Begründer der modernen Bergbaukunde. Credit: picture alliance / Ann Ronan

 

Das Steigerlied – auch heute singen es die Massen mit Inbrunst

Eine weitere äußerlich wahrnehmbare Zutat zur Identität der Bergleute war ihre Sprache mit Redewendungen und Ausdrücken, die das Leben tief unter der Erde widerspiegelten. Der berühmte Gruß „Glückauf“ stammt aber ursprünglich nicht aus dem Revier, sondern aus dem Erzgebirge. Er beschreibt die Hoffnung der Arbeiter, es mögen sich Erzgänge auftun. Beim Abbau von Erzen konnte man damals nur sehr vage vorhersagen, ob die Arbeit der Bergleute überhaupt zu einem Lohn führen würde. Später wurde der Begriff zum Sinnbild des Wunsches, sicher nach der Schicht aus den Tiefen wieder ans Tageslicht auszufahren. Das „Steigerlied“ ist wohl eines der berühmtesten Lieder, die diesen Begriff aufgreifen. Bis heute wird es mit Inbrunst gesungen, etwa bei Heimspielen des FC Schalke 04 oder bei Konzerten von Herbert Grönemeyer. Überhaupt spielten Gedichte und Lieder im Bergbau eine große Rolle und hatten die Liebe zum Beruf, aber auch den Wunsch nach Sicherheit als inhaltlichen Fokus.

Tracht tragen? Das konnten auch die Bergleute!

Funktional, pragmatisch, aber dennoch mit Sinn für Details: So kam auch die Kleidung der Bergleute daher. Zur Arbeitskleidung des Bergmanns gehörten Unterwäsche aus Baumwolle, eine Hose und ein Hemd aus Baumwolle, ein Halstuch und Schutzhandschuhe. Doch man trug auch Tracht, etwa bei Feierlichkeiten von Knappenvereinen und Bergmannschören. Kennzeichnend waren dabei auch die Schachthüte, die einst etwas über den sozialen Stand des Trägers zeigten. Die schwarze Tracht wies zudem charakteristische Merkmale auf: unter anderem die Applikationen „Schlägel und Eisen“, die den Bergbau symbolisieren, und den Schulterkragen, als Reststück einer Pelerine, die ursprünglich eine Schutzfunktion vor herabfallendem Gestein in der Grube und herabtropfenden Wasser hatte.

Und selbst das Fundament all der Arbeit, der kleine schwarze Sedimentstein, der durch Karbonisierung von Pflanzenresten entstand, ist bis heute ein Symbol der Kraft. Denn ohne die Steinkohle hätte es keine Industrialisierung gegeben, keine Dampfmaschine, keine Hochöfen und vermutlich auch kein Ruhrgebiet. Zumindest nicht das, was wir heute kennen. Ein sieben Kilogramm schwerer Kohlebrocken wurde dann auch Frank-Walter Steinmeier übergeben, als 2018 in Bottrop auf Haniel das letzte Stück Steinkohle aus deutschem Boden gefördert wurde und dann die letzte Zeche für immer ihre Schächte schloss. Es sei nicht nur ein Stück Kohle, sondern auch ein Stück Geschichte, das er in der Hand halte, sagte Steinmeier damals. Und diese Geschichte halten wir im Pott in vielerlei Hinsicht lebendig. Kult eben!

Perfektioniert hat diesen das Modelabel Grubenhelden. „Wir erzählen die Geschichte des Ruhrgebiets, des Bergbaus und der Kohle und damit auch die Geschichte meines Uropas, der Bergmann war, mit Mode und damit auf eine stylische und coole Art und Weise“, so Gründer Matthias Bohm aus Gladbeck. Sein Start-up erzählt von Wertschätzung. „Wir arbeiten in jedes Produkt den Hemd- oder Jackenstoff der Bergleute mit ein, um deren Geschichte zu erzählen und ihre Werte aufrechtzuerhalten – nicht plakativ, sondern mit dem nötigen Respekt. Ohne die Bergleute gäbe es uns jetzt hier einfach nicht.“ Die Designs greifen immer wieder Insignien des Bergbaus auf, was zum Beispiel am Logo des Labels deutlich wird, das an einen Förderturm erinnert oder am typischen Bergbau-Symbol des überkreuzten Schlägels und Eisen. Unsterbliche Geschichte auf der Haut tragen. Das kommt an. Weltweit. 2019 war Grubenhelden sogar auf der New Yorker Fashion Week vertreten.

Stücke aus der Kollektion von Grubenhelden. Credit: Grubenhelden

 

Neben Grubenhelden gibt es auch andere Unternehmen, die ähnliche Geschäftsmodelle verfolgen. Einige nutzen beispielsweise altes Bergbauzubehör oder Gestein aus stillgelegten Minen, um Schmuck, Devotionalien oder Möbel zu kreieren. Jede Menge „Merchandise“ wie Fördertürme auf Schlüsselanhängern, Tassen und Co. sowie Grubentücher als Geschirrtücher: All das gibt es natürlich auch längst. Zudem kreierten clevere Geschäftsleute aus Essen den „Die letzte Schicht“-Schnaps.

Schöntrinken kann man sich das Ende einer bedeutenden Industrie nicht. Den schwierigen Strukturwandel auch nicht. Und sicher ist manches mehr Klischee und Kommerz als echte Erinnerung. Aber was wäre die Alternative? All das, wofür die Region einmal stand, verdrängen, kleinreden, vergessen? Niemals. Man sollte nie vergessen, wo man herkommt.

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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