Es war der 25. April 1889. Im Ruhrgebiet herrschte seit einigen Jahren eine wahre Goldgräberstimmung. Die Dampfmaschine hatte den Startschuss für die Kohleförderung durch den Tiefbau gesetzt, Zechen waren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Schifffahrt und Eisenbahn taten ihr Übriges und machten die Region zur führenden Industrielandschaft. Das vormals agrarisch geprägte Revier meisterte den ersten Strukturwandel seiner Geschichte mit Bravour, doch profitierten vor allem die Großindustriellen. Seit 1860 galt im Bergbau der sogenannte „freie Arbeitsvertrag“. Infolgedessen hatten die Zechenherren die Hoheit über Löhne und Arbeitsbedingungen – und senkten daraufhin sowohl die Gehälter als auch die Sicherheitsstandards. Wehrte sich ein Arbeiter zu jener Zeit, wurde er gefeuert.

Die Geburtsstunde der Kumpelmentalität verändert auch den Arbeitskampf

Die Bergmänner unter Tage schufteten unter körperlich schwersten und oft lebensbedrohlichen Zuständen. Es war die Geburtsstunde der Kumpelmentalität. Sie half nicht nur, sich gegenseitig unter der Erde abzusichern, zusammenzuhalten, aus ihr entstand auch eine Gemeinschaft, die die Ausbeutung nicht mehr länger hinnehmen wollte.

So ähnlich sehen Quellen die damalige Situation; raufeld/midjourney

 

Der überlieferten Geschichte nach waren es 45 sogenannte Schlepper, Bergmänner, die mit dem Transport der Förderwagen zum Schacht beschäftigt waren, die sich an diesem Apriltag 1889 weigerten einzufahren. Erst als ihnen 20 Pfennig mehr Lohn pro Schicht zugesagt wurden, nahmen die Kumpel der Bochumer Zeche ihre Arbeit wieder auf – jedoch nur kurz. Am 4. Mai legten Bergmänner in einer Gelsenkirchener Zeche die Arbeit nieder. Weil einige der Streikenden daraufhin gekündigt wurden, kam es zu Handgreiflichkeiten. Am 5. Mai rückte sogar das Militär an.

Die Forderungen sind klar: eine Schichtzeit von acht Stunden – und endlich mehr Lohn

Nach einer Woche Arbeitskampf war die Bilanz verheerend: 20 Menschen wurden schwer verletzt, 15 hatten ihr Leben verloren. Aufgeben? Keine Option. Bald streikten 90.000 Bergarbeiter im Ruhrgebiet (rund 104.000 sind es damals insgesamt). Was sie wollten, formulierten sie klar und deutlich. Eine Verkürzung der Schichtzeit auf acht Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrzeit, verbesserte Luftzufuhr, wettergeschützte Wege zum Schacht, die Abschaffung von Überschichten und natürlich Lohnerhöhungen.

Doch die Arbeitgeber gaben nicht nach, alle Forderungen wurden abgelehnt. Sie täuschten sich jedoch, die Kohlenbarone, die bislang immer auf Polizei und Militär zählen konnten, wenn es mal Unruhen gab. Die Regierung erklärte den Streik für gesetzlich zulässig und Kaiser Wilhelm II sprach ein Machtwort. Per kaiserlicher Order wurden die Bergwerksunternehmer dazu gezwungen, mehr Geld zu zahlen. Der Kaiser, ein Sozialist? Bedingt. Seine damalige Regierungszeit hatte erst begonnen, die weiße Weste sollte durch soziale Unruhen nicht beschmutzt werden. Aber es missfiel dem Regenten, so ist es überliefert, auch tatsächlich, dass sich die „Barone“ die Taschen vollmachten, wie man im Revier heute gern salopp sagt, ihre Arbeiter trotzdem am Hungertuch nagen ließen.

Kaiser Wilhelm II; PRISMA ARCHIVO / Alamy

 

Ein „Berliner Protokoll“, doch die Kohlenbarone halten sich nicht daran

Und damals war auch klar: Ohne Kohle würde es keine Kohle mehr geben. Schließlich lieferte der Rohstoff die Energie für das Transportwesen und die gesamte Wirtschaft. Die Betriebe wären am Ende pleite gegangen, die Region von einer Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit erschüttert worden. Eher untypisch für die damalige Zeit suchte der Kaiser auch das persönliche Gespräch mit den Bergleuten, hörte sich ihre Nöte an, um Auswege zu finden. Das sogenannte „Berliner Protokoll“, das anschließend auf den Weg gebracht wurde, legt dann tatsächlich eine Arbeitszeit von acht Stunden inklusive jeweils einer halben Stunde Ein- und Ausfahrzeit fest. Außerdem sollten Überschichten nur nach vorheriger Vereinbarung zwischen Grubenverwaltung und Arbeiterausschüssen gefahren werden.

Ende gut, alles gut? Wohl kaum. Einzelne Zechenbesitzer hielten sich nicht an die Vereinbarungen. Wieder kam es zum Streik und diesmal kam es zu Verhaftungen, Versammlungsverboten – der Kaiser zeigte, dass es mit der Solidarität dann doch nicht so weit her war. Immerhin: 1891 wurde schließlich eine Novelle zur Gewerbeordnung verabschiedet. Die staatliche Aufsicht über die Arbeitsbedingungen wurden ausgebaut, der Lohn um fünf bis zehn Prozent angehoben. Viel wichtiger noch war den Bergleuten jedoch die Erkenntnis: Wer kämpft, kann gewinnen. Nicht alles, aber einiges. Und so wurden die ersten Gewerkschaften, die speziell die Interessen der Bergmänner vertraten, gegründet.

Hunderttausende Kumpel in Deutschland und den Nachbarländern solidarisierten sich

Der härteste aller Kämpfe sollte den Kumpel jedoch noch bevorstehen. Am 7. Januar 1905 brach er auf der Zeche „Bruchstraße“ in Bochum-Langendreer aus. Der Grund waren Arbeitszeitverlängerungen und Zechenstilllegungen. Binnen weniger Tage streikten bereits 100.000 Bergleute, rasant stieg die Zahl auf über 200.000. Und plötzlich machte sich auch im Ausland Solidarität breit. In Belgien etwa streikten 80.000 Kumpels, auch französische und englische Arbeiter unterstützten die Gewerkschaften. Und die Proteste zogen immer weitere Kreise. Die Elektroindustrie streikte in Berlin, die Hafenarbeiter in Hamburg legten ihre Arbeit nieder. Mit Erfolg! In den folgenden Monaten wurden etliche Forderungen der Arbeiterschaft in ein neues Gesetz aufgenommen.

Nach dem Ersten Weltkrieg erstarkten Arbeiterbewegungen weiter, doch die starke Inflation der 1920er-Jahre und sich erneut verschlechternde Arbeitsbedingungen ließen jeden Schritt nach Vorn zu zwei Schritten ins Gestern zurück werden. Mit der Machtübernahme Hitlers 1933 wurden schließlich alle unabhängigen Gewerkschaften aufgelöst, die Arbeiterbewegung im Ruhrgebiet musste in den Untergrund gehen und konnte ihre politischen Ziele nicht mehr offen verfolgen.

Gewerkschaften, wie wir sie heute kennen, erst nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten Streiks einer anderen Art. Häuser, Wohnungen, Fabriken sind zerstört, Lebensmittel rar und überteuert, Brennstoffe fehlen. Neun Millionen Menschen nahmen an Hungermärschen teil. Die Gewerkschaften stellten sich in dieser Phase neu auf. Sie halfen zum Beispiel bei der Lebensmittelversorgung und der Arbeitssuche.

Die Bildung der heutigen IG BCE nahm nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Lauf

Unmittelbar nach der militärischen Besatzung Deutschlands gründeten sich 1945 in allen Regionen spontan Bergarbeitervereinigungen auf betrieblicher und lokaler Ebene. Eine gewerkschaftliche Organisation auf zonaler Ebene erlaubte die britische Militärregierung erst Ende 1946. Am 8. Dezember wurde in Herne die Gründung des Industrieverbandes Bergbau als Einheitsgewerkschaft ohne konfessionelle oder parteipolitische Bindung vollzogen. 1948 folgt die Umbenennung in IG Bergbau, ein Jahr später folgte die Vereinigung mit der Bergbaugewerkschaft der französischen Zone. 1960 änderte die Gewerkschaft ihren Namen in IG Bergbau und Energie (1997 schloss sich die IG Bergbau und Energie mit der IG Chemie-Papier-Keramik (IG CPK) und der Gewerkschaft Leder (GL) zur neuen IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) zusammen).

Bergmänner protestieren in den 60er-Jahren; picture alliance / Klaus Rose

 

Vor allem in der Zeit des Wirtschaftswunders gelang es den starken Vertreterinnen und Vertretern der „Malocher“, die Arbeitsbedingungen und Löhne im Revier zu verbessern. Mit dem Beginn des Strukturwandels der 1970er-Jahre änderte sich die Rolle aber erneut. Die Gewerkschaften waren nun auch gefordert, den Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu begleiten und sich für Umschulungen und soziale Absicherungen der Betroffenen stark zu machen.

Soziale Gerechtigkeit im Revier hat heute andere Facetten

Heute ist zwar Schicht im Schacht, die Herausforderungen aber nicht weniger im Revier. Neben Tarifverhandlungen haben viele Gewerkschaften heute vor allem den Kampf gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie befristete Verträge und Leiharbeit auf der Agenda, um die Stabilität und Sicherheit der Beschäftigung für ihre Mitgliederinnen und Mitglieder zu sichern. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und der Einführung von Industrie 4.0 Technologien geht es im Ruhrgebiet aber auch darum, die Arbeitnehmerinnen und -nehmer auf den digitalen Wandel vorzubereiten. Auch die soziale Gerechtigkeit im Pott hat heute andere Facetten als früher, und umfasst den Kampf gegen Diskriminierung und für gleiche Chancen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Geschlecht. Und die Kohle? Verstaubt als Erinnerungssteinchen im Regal? Tatsächlich nicht. Denn auch Debatten über die Zukunft der Kohlekraftwerke und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Rahmen der Klimapolitik sind für das Revier und seine Arbeiterinnen und Arbeiter entscheidend. Und spätestens seit dem 25. April 1889 ist klar: Hier in der Region wollen die Menschen mitentscheiden, kämpfen – und nicht aufgeben oder sich für immer abhängen lassen.

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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