So richtig zu Hause fühlt er sich hier nicht. Dafür fehlten ihm seine „Jungs“ zu sehr, wie Tim seine Clique nennt. „Seine Jungs“ sind allerdings auch der Grund, wieso Tim Schmidt hier ist, in Duisburg-Hochfeld in der Nähe der Wanheimer Straße, der Haupteinkaufsstraße im Viertel. Hier soll und will der 27-Jährige Abstand gewinnen zu seinem früheren Leben. Erst rauchte er Marihuana, dann nahm er härtere Drogen. Da, wo er herkommt, in Düsseldorf-Garath, sind Rauschmittel leicht zu besorgen. Am Ende verkauft er für andere Leute auf der Straße, begeht Einbrüche und bedroht Süchtige, die nicht pünktlich bezahlen wollten oder konnten. „Wer schon einmal 10.000 Euro Bar in der Hand hatte, weiß was das für ein Gefühl ist. In keinem anderen Job der Welt ist das möglich“, meint Tim.
Drei Monate Gefängnis wegen Schwarzfahren
Tim Schmidt* ist nicht besonders groß, 1,60 Meter vielleicht, sehr schlank, nicht hager, trägt schwarze Sneaker, weiße Tennissocken und eine graue Stoffhose. Er trägt Vollbart und eine Gelfrisur. Seine Geschichte erzählt er nicht ganz ohne Stolz, als sei es eine Leistung, sich in seinem privaten Chaos zurecht zu finden. Als er vom Geld spricht, lächelt er, so als würde er sich an etwas Schönes erinnern. Dass er andere Menschen auch verletzt hat, ein Moment der Reue, so etwas lässt er nicht richtig durchblicken. Fünf- oder sechsmal saß er wegen verschiedener Delikte schon im Gefängnis: „So ganz genau weiß ich es auch nicht mehr“. Zuletzt wegen Schwarzfahrens und unbezahlten Rechnungen – drei Monate in einer kleinen Zelle. „Das ist schon hart da. Aber ich habe auch korrekte Jungs kennengelernt. Das sind nicht alles Verbrecher“. Auf Nachfrage, wie sie denn sonst ins Gefängnis gekommen sind, muss Tim schmunzeln: „Ja, die haben schon was gemacht, aber die sind halt nicht gefährlich.“
Natur, Geschäfte, Dönerläden
Hier in Duisburg-Hochfeld soll jetzt aber alles anders werden: Keine Diebstähle, keine Einbrüche, keine Drogen. Das habe er seiner Familie versprochen, erzählt Tim. Mit seiner Familie meint er auch seinen kleinen siebenjährigen Sohn Liam. Den darf Tim seit seinen letzten Vergehen und den damit verbundenen Gewaltausbrüchen nicht mehr sehen. Kontakt zur Mutter des Kindes hat er nur über Messenger-Dienste. Tim Schmidt soll dem Gericht beweisen, dass er Verantwortung übernehmen kann, sein Leben ändern will und sich nicht wieder in illegale Aktivitäten reinziehen lässt. Ein Umzug schien da sinnvoll. „Es ist schön hier. Ich habe alles, was ich brauche. Es gibt viele Geschäfte, Dönerläden. Duisburg ist genau richtig. Und es gibt hier auch viel Natur in der Nähe, da muss ich nur ein bisschen mit der U-Bahn fahren oder laufen“, sagt Tim. Er denkt dabei auch schon an die Zukunft – mit Liam. „Hier können wir dann immer rausgehen, Fußball spielen oder einfach auf der Wiese chillen.“ Eine reale Hoffnung? „Ja, irgendwann schon“, meint Tim. Beim „Irgendwann“ blickt er in den Himmel. Dieses „Irgendwann“ – das ist ganz weit weg, das wird im Gespräch deutlich.
Neuer Ort – altes Leben?
Denn auf der anderen Seite fühlt sich Tim in Duisburg auch deshalb so wohl, weil es seiner ursprünglichen Heimat sehr ähnlich ist: „Es gibt hier schon viele bekloppte Leute. Letztens hat sich ein Typ in einer Pfütze da vorne auf der Straße gewaschen. Der hat sein T-Shirt und die Schuhe ausgezogen und in der Pfütze gebadet.“ Und natürlich kommt er auch hier wieder schnell an Gras. „Was soll ich machen? Ein bisschen rauchen ist nicht so schlimm. Mir wurde das von einem Nachbarn angeboten.“ Ein anderes Haus, eine andere Siedlung vielleicht?
Tim Schmidt ist arbeitslos, hat „auf der Straße gelernt“, wie er sagt. Eine Schule hat er nie abgeschlossen: „Ich war schon in der Grundschule ein Unruhestifter. Danach bin ich von der Realschule geflogen und hab noch zweimal die Hauptschule gewechselt. Irgendwann hatte ich auch keinen Bock mehr.“ Die Wohnung hier hat ihm das Amt vermittelt. Tim bekommt Bürgergeld. Zwischendurch hat er mal einen Job, mal auf einer Baustelle helfen, mal in einem Club kellnern, mal putzen. Doch so richtig glücklich wird er damit nicht, erzählt er: „Das sind alles Abzocker-Jobs. Die zahlen kein richtiges Geld und denken, man wäre deren Sklave.“ Was Neues hat er gerade nicht in Aussicht. „Das wird schon. Duisburg ist ja groß“ – Tim ist Optimist, er lächelt. In Duisburg möchte er auf jeden Fall bleiben. Irgendwann dann auch mit seinem Sohn Liam – und seinen „Jungs“. „Aber das geht natürlich nicht“, sagt er, „das Leben will ich hinter mir lassen.“
*Name von der Redaktion geändert
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