Der Heimatbegriff hat einen kurvenreichen Weg hinter sich und einen solchen gewiss auch vor sich. Man kennt ihn erst seit dem Mittelalter. Wer „das“ Heimat, also Haus und Hof verlassen musste, war im „Elend“, in der Fremde, und wurde vom Heim-Weh verzehrt.

Ist Heimat ein Gefühl? Eine vernebelte Erinnerung? Ein Ort? Ein Geruch, Geräusch, Geschmack? Da wo man Arbeit und Auskommen hat? Da wo man seinen Frieden hat? Da wo man WLAN-Anschluss findet? Ein persönliches Umfeld? Eine Geschichte? Eine Sprache? Ein Kampfbegriff?

Wahrscheinlich von allem etwas. Auf jeden Fall ist er eine Projektionsfläche für das Ich-Gefühl des Einzelnen, eine Integrationschance oder auch Barriere. Und damit eine wichtige Erkenntnisquelle für die „inneren Angelegenheiten“ der Gesellschaft.

Ich begrüße es, dass die Brost-Stiftung Gelegenheit schafft, Wege durch das verminte und kontaminierte Gelände zu finden. Das ist zunächst Sammelstelle. Jede und jeder kann und darf sich äußern. Man wird mit seiner ganz persönlichen Suche nach Heimat oder Beheimatung wahrgenommen, auch ernstgenommen.

Jede und jeder kann sich fragen: Was bedeutet das Wort für mich und in meiner Biografie? Welche Bilder, Töne, Gerüche tauchen da auf? Was steht im Vordergrund? Ist es die Suche nach Geborgenheit? Auf schwankendem Boden wagt man keinen Schritt und erst recht keine Sprünge. Ist es die Erfahrung einer Utopie? Nach rückwärts ins ewig Gestrige, das es so nie gab, oder vorwärts in eine Zukunft, die es so nie geben wird, höchstens als Traum von versöhnter Verschiedenheit in gerechten Verhältnissen, in Frieden und Freiheit? – Für unzählige Heimat-Vertriebene war es ein Albtraum schrecklicher Erfahrungen.

Bei CheckPott – dafür steht das Konzept der Stiftung – geht es nicht um philosophische Erörterung, soziale Sondierung oder politische Lernziele. Es geht nicht um Vorgedachtes oder Vorgaben. Die Denke und der Sprech der Bürgerinnen und Bürger wird gehört und erkundet. Es geht „jetzt und hier“ um das ganz konkrete Selbstgefühl einer Region.

Die kann man kaum erfolgreich zum „schönsten Wiesengrunde“ verklären. Zwischen Ruhr und Emscher gibt es auf vielen Ebenen noch immer schroffe Gegensätze; Denkmäler und aktuelle Beispiele grandioser Erfindungskraft, aber auch Wunden einer ausbeuterischen Vergangenheit, Durchsetzungswillen kreativer Fantasie, aber auch Verlusterfahrung und nervöse Umbruchshoffnungen und Abbruchsängste.

Dieses aufgetürmte und dynamische Gebiet mit seinen Erfolgen und Verlusten war schon heimat-los, bevor die schlesischen und polnischen Wanderarbeiter kamen. Sie hatten Haus und Hof verlassen, um für ein klägliches Auskommen zu malochen. Sie verbrachten ihr kurzes Leben zwischen Oben und Unten, im vertikalen Pendelverkehr zwischen Tag und Nacht. Die hier spürbare Enteignung aller Gewiss- und Vertrautheiten durch die rasante Explosion zum „Kohlenpott“ musste ihnen bekannt vorkommen. Sie war die Metapher ihrer eigenen Existenz, denn hier war jeder heimatlos – irgendwie.

Der „Steiger kommt“ nicht mehr. Die musikalisch untermalte Kumpelromantik ist breitflächig dem wortkargen Pragmatismus einer multiplen Gesellschaft gewichen. Sie definiert sich nicht mehr als „Ballung“, hat aber „geballte“ Lust auf differenzierte Lösungen. Auch die sollen „zur Sprache“ kommen. „Checkpott“ ist dafür ein niederschwelliges Format. – Dabei sein ist noch nicht alles, aber schon erstaunlich viel.

Prof. Bodo Hombach

Vorsitzender des Vorstandes der Brost-Stiftung,
Präsident der Brost-Akademie

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