Donnerstag, 08. Februar 2024
Volkmar Herpertz, 64, Alltagsbetreuer und Planer bei "Radeln ohne Alter"
Warum engagieren Sie sich für „Radeln ohne Alter“?
Im Projekt „Radeln ohne Alter“ werden Rikschatouren für Senioren und Seniorinnen angeboten, um Natur, Kultur und neue sowie bekannte Orte zu erfahren. Bei diesen Touren werden alle Sinne angesprochen. Positive Effekte in Aktivierung, Wohlbefinden und Gesundheit werden damit erreicht. Aber nicht nur für die älteren Menschen, auch für die Fahrerinnen und Fahrer entsteht ein Mehrwert. Die generationenübergreifende Kommunikation, der Austausch von Erfahrungen und Geschichten sowie die Tatsache anderen — und sich selbst — etwas Gutes zu tun, steigern das Selbstwertgefühl und die Lebensfreude aller Beteiligten. Ich selbst bin Anfang 2019 zum Projekt „Radeln ohne Alter“ gestoßen. Zu dieser Zeit war ich arbeitssuchend und bekam das Angebot vom Jobcenter Essen, mich im Bereich der Gemeinwohlarbeit zu engagieren. Mir gefiel es, dort etwas Sinnvolles leisten zu können, was mich selbst positiv in den Arbeitsalltag einband und aktivierend an die tägliche Arbeitsroutine heranführte. In der Zwischenzeit bin ich seit einigen Jahren dort als Betreuer und Tourenplaner angestellt.
Wie organisiert sich „Radeln ohne Alter“?
„Radeln ohne Alter“ in Essen ist als ein Projekt der Neuen Arbeit der Diakonie Essen im Rahmen der „Grünen Hauptstadt Europas 2017“ in Zusammenarbeit mit dem Umweltamt der Stadt Essen und der Klimaagentur angeregt worden. Das Ziel an dieser Stelle war und ist es, Fahrradmobilität in besonderer Form im Essener Stadtgebiet sichtbar zu machen. „Radeln ohne Alter“ wird in Essen als Teil einer freiwilligen Beschäftigungsmaßnahme durchgeführt. In Kooperation mit dem Jobcenter werden Bürgergeld-Empfänger- und Empfängerinnen als Rikschapiloten mit 30 h/Wo. beschäftigt und erhalten dafür einen Zuschlag zum Bürgergeld. Radeln ohne Alter ist Teil der Abteilung Fahrrad, zu der auch unsere Fahrradwerkstatt und die Radstationen in Essen gehören. Ich als inzwischen fest angestellter Mitarbeiter bin für den Kontakt und die Terminierung mit den Senioren-Centern zuständig, ebenso für die Planung der Touren und der Fahrer und Fahrerinnen. Seit Neuestem können wir auch Ehrenamtler hinzuziehen, wenn da entsprechendes Interesse besteht. So organisieren wir momentan mehr als 100 Touren jährlich und können uns vor Anfragen kaum retten.
Erleben Sie das Ruhrgebiet als eher sozial engagiert oder nicht?
Obwohl es mittlerweile ähnliche Projekte in anderen Städten im Ruhrgebiet (Dortmund, Bochum, Moers, etc.) gibt, denke ich, dass es noch weit mehr Engagement in dieser Ausrichtung in unserer Region geben sollte. Außer unserem Projekt sind alle anderen im Ruhrgebiet rein ehrenamtlich organisiert und recht kostenintensiv. Hier braucht es noch ordentlich Unterstützung aus Wirtschaft und Politik, damit sich solche Projekte flächendeckend entwickeln können. Grundsätzlich halte ich es für wichtig, dass gerade in der Betreuung von Senioren und Seniorinnen noch mehr getan wird, jedoch halte ich das Ruhrgebiet in seiner Tradition durchaus für sozial, engagiert und aufgeschlossen für solche Projekte, was an der allgemeinen Akzeptanz und in den positiven Kommentaren unserer Mitmenschen vielfach zum Ausdruck kommt, wenn sie uns fahren sehen.
Was ist für Sie Heimat?
Heimat steht für mich für die Orte, an denen sich mein Herz wohl fühlt; wo die Lebensqualität und das soziale Miteinander prägend und spürbar sind. Heimat ist da, wo ich unkompliziert mit Mitmenschen verschiedenster Herkunft in Kontakt komme, zusammen Neues entwickeln sowie Natur und Kultur mit und bei den Menschen erleben kann.
An welchem Ort im Ruhrgebiet fühlen Sie sich am wohlsten?
Die schönsten Bereiche des Ruhrgebietes sind für mich die großzügigen Grünbereiche, die sich in den letzten 30 Jahren entwickelt haben, das Umfeld an der Ruhr ebenso wie die vielen Parks und Naherholungsbereiche. In kürzester Zeit ist man aus den innerstädtischen Ballungsgebieten in der Natur, ob zu Fuß oder mit dem Rad, und es ist für fast alle Interessantes und Schönes erlebbar. Zudem bin ich ganz besonders gerne in meiner Heimatstadt Essen, in der ich aufgewachsen und sozialisiert bin. Ich mag die Aufgeschlossenheit, die kulturelle Vielfalt und das meist unkomplizierte Miteinander. Hier wird einfach Klartext geredet, manchmal auch etwas „rauer“, aber immer mit dem Herz am richtigen Fleck.
Was finden Sie woanders besser als im Ruhrgebiet?
Das ist schwierig zu sagen, es gibt immer Sachen, die woanders ihren Reiz haben. Es gibt Städte und Bereiche, in denen die innerstädtische Mobilität besser ausgebaut ist, insbesondere für den Zweiradbereich, z.B. in Münster, Aachen oder Bonn. Auch der ÖPNV lässt in der Taktung in manchen Bereichen des Ruhrgebiets noch viele Wünsche offen, da gibt es Städte, in denen das wesentlich besser strukturiert und getaktet ist. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Städten im Ruhrgebiet ist noch nicht optimal, da alle an ihren „Pöstchen“ kleben und immer wieder städteübergreifende Projekte extrem lange Vorlaufzeiten haben.
Würden Sie das Ruhrgebiet jemals verlassen?
Nein, würde ich nicht. Ich habe eine Zeit lang im Rheinland im Rhein-Sieg-Kreis gelebt, aus familiären und beruflichen Gründen. Als sich das beendete, bin ich mit „wehenden Fahnen“ wieder zurück ins Ruhrgebiet. Zudem hat sich die Region in den vergangenen 30 Jahren sehr positiv entwickelt und ich halte das Ruhrgebiet in seiner Gesamtheit und der Mischung aus Urbanität und Natur für ausgesprochen lebenswert.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Ruhrgebiet?
Ohh, was wünsche ich mir? Bessere Zusammenarbeit unter den Städten im Ruhrgebiet im Bereich Mobilität, Kultur und in der Gestaltung der Arbeitswelt. Die Infrastruktur muss den zukünftigen Aufgaben angepasst werden, es müssen mehr Arbeitgeber angesiedelt werden, um den Menschen wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten. Die Wohnstrukturen müssen baulich, wirtschaftlich und sozial den zukünftigen Aufgaben angepasst werden.
Macht sich das Ruhrgebiet genug für Mobilität stark? Was könnte man da verbessern?
Im Bereich der Mobilität ist in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge nach vorne gegangen, allerdings gibt es da noch viel „Luft nach oben“. Das Radwegenetz muss ausgebaut und gemeinsam mit den umliegenden Städten zusammengeführt und optimiert werden, Planungsprozesse müssen vereinfacht werden, der Zustand der Straßen muss den modernen Anforderungen an den großstädtischen Verkehr angepasst werden, da der Zustand vieler Straßen im Ruhrgebiet ausgesprochen schlecht und mobilitätshindernd wirkt, insbesondere für Zweiradfahrer und Zweiradfahrerinnen.
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