Skulpturen an der Emscher, Installationen in leerstehenden Kaufhäusern, im Wasser, im Sand oder futuristische Utopien im ehemaligen Salzlager: Kunst im Revier ist vielseitig. Wenn der Pott mit seinen unterschiedlichen Facetten zur Spielwiese der Kreativität wird, stecken oft die Macherinnen und Macher von Urbane Künste Ruhr mit ideenreichen Künstlerinnen und Künstlern dahinter. Sie bringen Farbe in den Alltag und ermuntern Betrachterinnen und Betrachter, die Perspektive zu wechseln und ihre Region mit neuen Augen zu sehen.
Die Kunstaktionen von Urbane Künste Ruhr haben bereits historische Industrieanlagen in lebendige Kunstwerke verwandelt und ungenutzte Flächen in Orte der Begegnung und Inspiration. Indem sie lokale wie internationale Künstlerinnen und Künstler zusammenbringen, entstehen Dialoge und Synergien. Zugleich unterstützt das Wirken von Urbane Künste Ruhr Wandel und Erneuerung. Städtebauliche Gegebenheiten werden hinterfragt, soziale und kulturelle Themen aufgegriffen und zur Diskussion gestellt.
Die Projekte werden oft in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern und der lokalen Kunst- und Kulturszene entwickelt. Durch Workshops, Diskussionsrunden und gemeinschaftliche Kunstprojekte wird die städtische Landschaft zum offenen Forum, das sich stetig weiterentwickelt – so dynamisch und divers wie die Gesellschaft selbst.
Wir haben mit Britta Peters, Künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr gesprochen. Über aktuelle Projekte und die Besonderheiten unserer Region.
2018 haben Sie die Künstlerische Leitung von Urbane Künste Ruhr übernommen. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich habe als Kuratorin immer schon ein klares Profil gehabt: Kunst im öffentlichen Raum, das ist das, was mich am meisten interessiert. Ich habe Kulturwissenschaften studiert, nicht Kunstgeschichte, und hatte immer das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft im Blick. Die Künstlerische Leitung von Urbane Künste Ruhr ist für mich der ideale Ort, weil sie genau diese beiden Themen miteinander vereint.
Was ist Ihrer Meinung nach die besondere Rolle von Kunst im öffentlichen Raum?
Im öffentlichen Raum muss Kunst die Bedingungen, unter denen sie stattfindet, immer wieder neu herstellen. Es gibt eben nicht ein Museum oder Ausstellungsräume, die neu bespielt werden, sondern die Kunst oder die Projekte entstehen erst in Bezug auf bestimmte Situationen und Zusammenhänge.
Wie unterscheidet sich diese Form der Kunst von traditionellen Galerien oder Museen?
Museale Räume geben gewisse Verhaltensregeln vor, zum Beispiel, dass man dort nicht herumschreit, dass man die Dinge nicht anfasst, dass man konzentriert die Texte liest. Im öffentlichen Raum werden all diese Herangehensweisen und Zugänge neu festgelegt. Häufig kann man die Kunst anfassen, mitmachen, seine Meinung einbringen und zu anderen Besuchern ganz anders in Beziehung treten.
Auf welche Erfolge der letzten Jahre blickt Urbane Künste Ruhr zurück?
Auf die Etablierung des Emscherkunstwegs aus dem Vermächtnis der Emscherkunst-Ausstellungen. Der Emscherkunstweg ist seit 2019 ein permanenter Skulpturenweg mit mittlerweile 23 von geplanten 24 Werken. Natur und Kunst werden hier mit Industrie, Wandern und Radfahren verbunden. Von April bis Oktober gibt es monatlich geführte Touren. Eine Route führt etwa von Henrik Hakånssons „The Insect Societies“ am Emscherquellhof in Holzwickede durch Felder und Wiesen in Richtung Dortmund. Entlang der Emscher fährt man vorbei an dem 2021 entstandenen Werk „Public Hybrid“ von David Jablonowski und unserer neuesten Arbeit „Pool Lines“ von Sofía Táboas. Hinter dem Phoenix-See geht es über den Westfalenpark bis nach Dortmund-Huckarde, um in dem Werk „Zur kleinen Weile“ akustisch überrascht zu werden. Die Tour endet schließlich in der „Kunstpause“ von atelier le balto.
Auch auf das „Ruhr Ding“ sind wir natürlich stolz. 2019 ist damit ein Ausstellungsformat entstanden, das durch die gesamte Region wanderte und unter einer thematischen Klammer (z.B. Klima oder Schlaf) verschiedene künstlerische Positionen in verschiedenen Städten in Beziehung zueinander setzte.
Welche Projekte sind für 2024 geplant? Was ist ein Muss für Kunstliebhaberinnen und Kunstliebhaber und solche, die es noch werden wollen?
Ein Muss ist unsere Ausstellung „Landscapes of an Ongoing Past“ im ehemaligen Salzlager der Kokerei Zollverein (ab 16.8.2024). Hier ist der „Palace of Projects“ des international bekannten Künstlerpaars Ilya & Emilia Kabakov installiert. Bislang ist die Installation noch nicht mit bildender Kunst gezeigt worden, sondern diente eher als Kulisse für Veranstaltungen im Bereich Theater oder Literatur. Jetzt wollen wir mit neuen, zeitgenössischen künstlerischen Positionen, viele davon aus der Ukraine, aber auch aus der ehemaligen DDR oder aus Georgien und Albanien neue Zusammenhänge herstellen. Auf der Suche nach vergangenen und zukünftigen Utopien zeigt die Ausstellung historische und zeitgenössische Arbeiten von Künstler*innen wie Marta Dyachenko, Nikita Kadan und Zhanna Kadyrova. Es wartet ein vielfältiges Programm aus Diskursformaten mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, geführten Ausstellungsbesuchen in verschiedenen Sprachen und Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Als Team aus vier Kuratorinnen - zwei Kolleginnen aus der Ukraine sind dabei - haben wir viele Monate daran gearbeitet und ich bin wirklich begeistert über die tolle Ausstellung, die daraus entstanden ist.
Wie interagieren Ihrer Erfahrung nach die Einwohnerinnen und Einwohner des Ruhrgebiets mit den Kunstprojekten von Urbane Künste Ruhr?
Das kommt immer sehr auf die Projekte an. Oft sind sie ja sogar von vornherein mit einbezogen. So eine gewisse Neugier ist auf jeden Fall immer da, wenn man sich im öffentlichen Raum, auf den Straßen bewegt und dort unerwartet auf ein Kunstwerk stößt. Wir haben es mit der „Ruhr-Ding“-Trilogie, die ja alle zwei Jahre stattgefunden hat, in den letzten sechs Jahren geschafft, eine große Gruppe an Anhängerinnen und Anhängern zu erobern. Viele sind den Projekten hinterhergereist und haben das Angebot, die Region und Projekte immer neu kennenzulernen, gut genutzt. Das Publikum ist insofern eine Herausforderung für die kuratorische Arbeit, als dass es nicht dieses klassische bildungsbürgerliche Publikum ist. Aber genau das macht die Auseinandersetzung auch sehr viel spannender.
Inwieweit beeinflusst die soziale und industrielle Geschichte des Ruhrgebiets die künstlerische Arbeit, die dort entsteht?
Sie ist sozusagen der Ausgangspunkt von allem. Ohne diesen historisch so aufgeladenen Raum würden die Arbeiten in ihrer gewählten Form gar nicht entstehen. Bei unseren Projekten kann man die Kunst meist gar nicht von den besonderen Gegebenheiten vor Ort und im Ruhrgebiet trennen.
Was macht das Ruhrgebiet in Sachen Mentalität für Sie besonders - besonders leicht, besonders schwer?
Die Offenheit oder diese viel zitierte „klare Kante“, dass Leute einfach sagen, was sie denken, ist immer wieder überraschend. Und sie macht es leicht und schwer gleichermaßen. Sie macht es leicht, weil man sofort weiß, was die oder der andere denkt. Und weil es nicht gestelzt oder steif ist. Sie macht es manchmal schwer, weil man sofort weiß, dass man noch stärker überzeugen muss.
Kann man das Ruhrgebiet, aus der künstlerisch-aktiven Perspektive, je ganz erfassen?
Nein. Die Gesellschaft ist in ständigem Wandel und damit auch die zeitgenössische Kunst. Im Herbst dieses Jahres etwa starten wir die „Grand Snail Tour“, eine künstlerisch-performative Reise durch 53 Städte des Ruhrgebiets. Hier gehen wir den Fragen nach: Was ist das Ruhrgebiet? Eine aufregende Metropolenregion rund um die großen Städte Dortmund, Essen und Duisburg? Oder ein Sammelsurium verstreuter Ortschaften von Alpen bis Xanten? Oder beides? Besteht es aus beschaulichen Flusslandschaften an Ruhr, Emscher und Lippe oder ist es durch die Narben der Schwerindustrie heillos beschädigt? Ziel des Dreijahres-Projekts ist es, lokale Akteure kennenzulernen, Banden zu bilden und nachhaltige Netzwerke zu etablieren. Am Ende erhoffen wir uns Antworten, darauf, wie Kunst zu den Menschen kommen kann statt umgekehrt, wie man auch ein Publikum jenseits der großen Ballungszentren erreichen kann. Die Suche nach den Antworten wird dabei unter dem Eindruck der wechselnden Landschaften, dem Ablauf der Jahreszeiten und aktueller, politischer Debatten stattfinden.
Kann Kunst dazu beitragen, städtische Herausforderungen wie soziale Ungleichheit zu adressieren, vielleicht sogar zu reduzieren?
Ich glaube, Kunst kann viel dazu beitragen. Aber wir sollten die Möglichkeiten auch nicht überschätzen, vieles muss auch politisch entschieden werden. Aber Kunst kann sehr viel dazu beitragen, Themen zu vermitteln und auf eine andere Art Empathie für bestimmte Situationen zu wecken. Auch die sozialen Verbindungen, die darüber entstehen, sind wahnsinnig wichtig. Viele Menschen sind heutzutage einfach sehr viel allein. Insofern ist dieser Austausch auch immer eine gesellschaftlich relevante Möglichkeit, aus der eigenen Blase heraus zu treten und in Diskussionen zu kommen.
Wo sehen Sie die Zukunft des Ruhrgebiets aus künstlerischer Perspektive? Was wünschen Sie sich persönlich als Bewohnerin der Region?
Ich glaube, dass das Ruhrgebiet zunehmend attraktiver wird, auch für eine junge Kunstszene. Berlin etwa ist komplett ausgeplant und aufgeteilt, und selbst Städte wie Hamburg und München bieten nicht so viel kulturelles Potenzial wie das Ruhrgebiet. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass das Verklären der Vergangenheit abnimmt, genauso wie das bange Blicken in eine Zukunft, von der man gar nicht weiß, ob diese je eintritt. Eine stärkere Konzentration auf die Gegenwart, ein Arbeiten mit dem und Begeisterung für das, was schon da ist, was man sehen, verändern und erleben kann, das würde ich mir wünschen.
Das ist Britta Peters:
Britta Peters arbeitet als Kuratorin mit Schwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum. Seit Januar 2018 ist sie Künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr. Zuvor war sie als Kuratorin im Team mit Marianne Wagner und Kasper König als künstlerischem Leiter für die Skulptur Projekte Münster 2017 verantwortlich. Die Kulturwissenschaftlerin hat verschiedene größere Ausstellungsprojekte in Hamburg kuratiert, unter anderem 2008 bis 2011 als Leiterin des Kunstvereins Harburger Bahnhof. Nach der Ausstellung „Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen“ 2012 im Frankfurter Kunstverein, realisierte sie 2014 das Projekt „Krankheit als Metapher. Das Irre im Garten der Arten“ an verschiedenen Orten in Hamburg. Peters hat international an zahlreichen Gremien, Veranstaltungen und Publikationen zum Thema Kunst im öffentlichen Raum mitgewirkt und als Gastprofessorin u. a. an der Kunstakademie Münster gelehrt.
Neben der Ruhrtriennale, der Tanzlandschaft Ruhr und dem Chorwerk Ruhr sind die Urbanen Künste Ruhr Teil der Kultur Ruhr GmbH mit Sitz in Bochum, deren Gesellschafter und öffentliche Förderer das Land Nordrhein-Westfalen und der Regionalverband Ruhr sind.
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