Ruhrdeutsch: Kein offizieller Dialekt, aber gelebter Zusammenhalt

Im Ruhrgebiet, einer Region geprägt von Kohlebergbau und Stahlindustrie, hat sich im Laufe der Zeit ein ganz besonderer Sprachgebrauch entwickelt. "Ruhrdeutsch" ist dabei kein offizieller Dialekt, wie etwa das Bairische oder das Sächsische, aber dennoch eine feste sprachliche Konstante in der regionalen Identität der "Ruhrpottler". Die Sprache ist ein Zeichen des Zusammenhalts unter jenen, die in dieser von Maloche, Bodenständigkeit und direktem Umgang geprägten Region leben oder aufgewachsen sind. 

Ruhrdeutsch ist dabei stark beeinflusst durch die unterschiedlichen Dialekte und Sprachen der Zuwanderer, die im 19. und 20. Jahrhundert in das Ruhrgebiet kamen, um in der dortigen Industrie zu arbeiten. Diese sprachliche Melange spiegelt den Charakter des Ruhrgebiets wider, zeigt die Solidarität und Verbrüderung seiner Bewohner. Es handelt sich um eine Umgangssprache, die in der alltäglichen Kommunikation lebendig wird und ein kollektives Identitätsgefühl schafft. Sie trägt maßgeblich zur regionalen Identität der Bewohner des Ruhrgebiets bei und ist dabei nicht nur eine Sammlung von Worten und Redewendungen, sondern vielmehr ein kulturelles Erbe und ein lebendiger Ausdruck der Zusammengehörigkeit einer stolzen und eng verbundenen Gemeinschaft. Denn die Sprache und deren Begriffe sind nicht nur einfache Worte, sondern erzählen Geschichten von Gemeinschaft, Zusammenhalt und einer besonderen Lebensweise. Sie veranschaulichen die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Vergangenheit und Tradition, aber auch mit der Gegenwart einer Region, die ihre Identität aus dem Miteinander schöpft. 

Das Ruhrdeutsch ist eine sprachliche Schatzkiste voller Ausdrücke, die von der Industriekultur und der Mentalität ihrer Menschen geprägt sind. So steht der Begriff Maloche umgangssprachlich für harte Arbeit, insbesondere körperlich anstrengende Tätigkeiten. Die anekdotische Herkunft des Begriffs liegt in der Zeit der Industrialisierung, in der viele Arbeiter unter schwierigen Bedingungen in den Zechen und Stahlwerken schuften mussten. Maloche ist somit ein Begriff, der den Stolz und die Arbeitsmoral der Menschen im Ruhrgebiet widerspiegelt und das gemeinsame Schicksal der Arbeiterschaft dokumentiert. Die Redewendung Schicht im Schacht wiederum steht für Feierabend oder Ende der Arbeit und ist direkt verbunden mit dem Bergbau, der über Jahrzehnte das Leben im Ruhrgebiet bestimmte. "Schicht" bezieht sich auf die Arbeitsperiode des Bergmanns unter Tage, und "im Schacht" führt zurück in die Bergwerke, die das Ruhrgebiet durchziehen. Der Ausspruch hat sich auch außerhalb des Bergbaus als Ausdruck für das Ende eines Arbeitstages oder einer anstrengenden Tätigkeit etabliert.  Auch der Begriff Kumpel stammt ursprünglich aus dem Bergbau und bezeichnet die Bergarbeiter, die Kameradschaftlichkeit und deren Solidarität untereinander – im Speziellen auch die gegenseitige Hilfe und Verlässlichkeit in den oft gefährlichen Arbeitsbedingungen unter Tage. Heute wird der Begriff im Ruhrgebiet, aber auch darüber hinaus allgemein für "guten Freund" oder "Kollegen" verwendet. Dabei überträgt sich die tiefe Verbundenheit aus dem Bergbau auf das alltägliche Miteinander. Ein "Kumpel" ist mehr als ein Bekannter – es ist jemand, auf den man sich verlassen kann. Bütterken, also ein belegtes Brötchen oder eine Stulle, ist der Begriff für die Wegzehrung der Arbeiterschaft. Im Ruhrdeutsch wurde dieses Wort zum Inbegriff der einfachen, aber sättigenden Mahlzeit. Der Begriff stammt aus dem Niederdeutschen und hat sich im Sprachgebrauch des Ruhrgebiets fest etabliert. Die Herkunft des Wortes verdeutlicht die Pragmatik der Region: Eine schnelle und nahrhafte Stärkung für zwischendurch, die man ohne großen Aufwand genießen kann. 

Indem diese besonderen Wörter und Redewendungen bis heute genutzt werden, feiern die Menschen ihre Zugehörigkeit zu einer einzigartigen Region und halten die Erinnerung an eine Zeit lebendig, in der der "Pütt" und die "Maloche" das Leben bestimmten. Damit dient Ruhrdeutsch auch als Bindeglied zwischen den Generationen und als täglich gelebtes Kulturgut, das nicht durch offizielle Anerkennung, sondern durch das Herz und den Alltag der Ruhrgebietsbewohner weitergetragen und am Leben erhalten wird.  

Wissenschaftlich betrachtet ist "Ruhrdeutsch", oftmals auch als "Ruhrpott-Slang" bezeichnet, nicht das Ergebnis einer jahrhundertealten, kontinuierlichen Dialektentwicklung wie etwa in Bayern oder Sachsen, sondern kann eher als ein regionaler Soziolekt angesehen werden. Seine Entstehung ist eng verknüpft mit der industriellen Geschichte des Ruhrgebiets. Im Zuge der Industrialisierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert veränderte sich die Bevölkerungsstruktur im Ruhrgebiet sichtbar. Menschen aus vielen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland strömten in die Region, um in den Zechen und Stahlwerken Arbeit zu finden und brachten ihre jeweiligen Dialekte und Sprachen mit. Diese Vielfalt der Sprachen traf auf das Lokale, was damals bereits ein Zusammenspiel aus niederfränkischen und niederdeutschen Einflüssen war. Ruhrdeutsch ist daher eine Synthese aus hochdeutschen Sprachelementen, Dialekten, die ursprünglich in der Region gesprochen wurden, und den Einflüssen, die die Zuwanderer aus ihren jeweiligen Herkunftsregionen mitgebracht haben. Diese Vermischung wurde noch verstärkt durch die gemeinsame Arbeitersituation, die eine Verständigung über sprachliche Barrieren hinweg notwendig machte. Daraus entstand ein überregional verständliches Deutsch mit regionalen Einschlägen, untermalt von den Terminologien aus Bergbau und Stahlindustrie. Wissenschaftler betrachten das Ruhrdeutsch daher als ein typisches Beispiel für eine "Kontaktsprache" oder "Überdachungsdialekt". Es formte sich weniger organisch, sondern eher als pragmatische Notwendigkeit des Zusammenlebens und Arbeitens in einer kulturell und sprachlich sehr diversen Region. 

Für die Sprachwissenschaft zeigt Ruhrdeutsch typische Merkmale eines Soziolekts auf, das heißt, eines sprachlichen Dialekts, der sich eher durch soziale als durch regionale Zugehörigkeit definieren lässt, es ist somit eine regional geprägte Umgangssprache. Einerseits verbindet es die Menschen über ihren Wohnort, andererseits über ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterschicht und ihre gemeinsamen Erlebnisse und Erinnerungen. Es wird oft im nicht-formellen Situationen gesprochen und drückt eine Art Heimatgefühl aus. Die Identitätsstiftung durch Ruhrdeutsch ist immer wieder Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung. Studien zeigen, dass regionale Dialekte oder Soziolekte oft mit einem positiven Heimatgefühl und einer starken regionalen Identität verknüpft sind. Im Falle des Ruhrdeutsch ist es besonders die Erinnerung an eine Zeit, in der die Schwerindustrie das Leben der Menschen dominierte und die Notwendigkeit der Solidarität in härteren Lebensumständen bestand. Ungeachtet der Einstellung der letzten Zechen und einer sich wandelnden Wirtschaftsstruktur bleibt das Ruhrdeutsch als soziokulturelles Phänomen bestehen, da es überwiegend positiv konnotiert ist. Es liefert den Menschen im Ruhrgebiet eine kulturelle Identität, eine Verbindung zur Vergangenheit und dient als Zeichen einer regionalen Zugehörigkeit in einer sich stetig wandelnden Welt. 

Beate Bickelhaupt

Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Musikwissenschaft hat Beate Bickelhaupt viele Jahre als Freelancerin für diverse Agenturen und Auftraggeber in den Branchen Theater, Event Show und Industrie gearbeitet. Ihr Schwerpunkt lag dabei in erster Linie in den Bereichen Redaktion, Kreation, und Konzeption. Eines ihrer Hauptprojekte war seit 2006 zunächst die redaktionelle Mitarbeit, seit 2010 die Redaktionsleitung der GOLDENEN KAMERA auf Seiten der Veranstalter, FUNKE Mediengruppe. Seit 2021 ist sie Redakteurin und Projektmanagerin bei raufeld.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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