Margit Kruse macht den Pott zur Kulisse von Morden, Entführungen und Betrugsfällen. Ihre Werke wie „Zechenbrand“ oder „Rosensalz“ zeigen: Das Revier kann aus Alt Neu machen – und das nicht nur literarisch

Kennen Sie Margareta Sommerfeld? Deren Karriere einst als Süßwarenverkäuferin bei Hertie begann? Nein? Dann sollten Sie die mutige Pottlerin einmal kennenlernen. Denn mit ihrer humorvollen, zupackenden Art sorgt die Hobby-Detektivin nicht nur für Sicherheit im Revier. Sie rückt eine Region, die viele gern abschreiben, wieder ins strahlende Licht.

„Meine Figuren gibt es auf gewisse Weise alle im richtigen Leben“, sagt Margit Kruse.

Die Miss Marple des Ruhrgebiets stammt aus der Feder von Krimiautorin Margit Kruse. Die sympathische Schriftstellerin wurde 1957 in Gelsenkirchen geboren und fasste erst 2004 den Mut, ihre Liebe zum Schreiben auszuleben. „Mein Mann hat damals gesagt: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Margit Kruse hängte ihren Bürojob bei einem großen Energiekonzern an den Nagel, schrieb zunächst Romane. Erst 2011 dann tauchte die 66-Jährige ein in die Welt der Morde, Entführungen und Betrugsfälle und lieferte mit „Eisaugen“ (Gmeiner-Verlag) ein Top-Erstlingswerk im Gänsehaut-Genre, unzählige weitere Bücher folgten bis heute. Ihr Erfolgsrezept? Echte Charaktere als Hauptfiguren, die beim Lesen lebendig werden, die die Region spürbar, die Sprache hörbar machen. Dass der Funke auch auf all jene überspringt, verdankt Margit Kruse ihrer genauen Beobachtungsgabe. Minutiös schaut die Ruhrpottlerin auf all das, was um sie herum passiert. Sie saugt Personen und Gegebenheiten auf wie eine Vorwerk-Maschine. „Meine Figuren gibt es auf gewisse Weise alle im richtigen Leben“, erklärt die Autorin im Interview mit uns. Und wer ihr komplett unsympathisch ist, den bringt sie eben im Krimi um. „Außer mein Mann legt ein Veto ein“, fügt sie lachend hinzu. Er unterstützt Margit Kruse, liest immer als Erstes ein neues Werk, ist auch ein ehrlicher Kritiker. „Die ganze Familie steht hinter mir“, so die Mutter einer Tochter.

Die Zechensiedlung als Schauplatz: fiktiv und real

Kruses Revier-Krimis wie „Zechenbrand“, „Hochzeitsglocken“ oder „Rosensalz“ spielen allesamt vor der Haustür. In Gelsenkirchen, Bochum, Essen, Haltern, Recklinghausen, mit gelegentlichen Ausflügen in die nähere Umgebung, etwa das Sauerland. Und immer wieder sind es auch die Zechensiedlungen, die zur Spielstätte werden. Und die seit jeher so viel mehr fürs Ruhrgebiet sind als nur ein Dach über dem Kopf. Als Mitte des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung im Revier Fahrt aufnahm und Zechen wie Pilze aus dem Boden schossen, zogen immer mehr Arbeiter in die Region, größtenteils aus dem Osten Europas wie Masuren, Schlesien oder Preußen. Auch wenn man es angesichts der Dichte im Revier heute kaum noch glauben kann, war das Ruhrgebiet damals so dünn besiedelt, dass kaum Wohnraum zur Verfügung stand.

Günstig, schnell, viel war die Devise der Bauprojekte als Antwort auf den akuten Mangel an vier Wänden. Quasi über Nacht wurden auf ehemaligen Weideflächen und Feldern, wo zuvor das Vieh graste, Siedlungen hochgezogen und zum Fundament für viele Städte, wie wir sie heute kennen. Anfangs kamen die Kolonien sehr karg daher. Die zweigeschossigen und aus Backstein errichteten Häuser waren simple Konstruktionen, beinhalteten oftmals vier Wohnparteien mit jeweils eigenem Eingang. Erst später ging man dazu über, kleine Gartenflächen an Vorder- und Rückseite mit einzuplanen. So konnten die meist aus eher ländlichen Gegenden stammenden Arbeiter und ihre Familien eigenes Gemüse und Obst anbauen, auch Hühner halten. Gleichzeitig wurden vermehrt Kioske, kleinere Lädchen und Begegnungsstätten sowie Spielplätze mitgeplant.

Wenn der Museums-Charakter dank der Arbeiterkolonie Kult wird

Die Siedlung Eisenheim in Oberhausen ist die älteste Arbeiterkolonie des Ruhrgebiets. 1846 von der Gutehoffnungshütte (GHH) für ihre Arbeiter errichtet, lebten hier zur Zeit der Jahrhundertwende etwa 1200 Menschen. Mittlerweile sind die heute 39 verbliebenen Häuser wohl legendär im Revier. Nach langem Kampf hatten die Bewohner den Abriss verhindern können. Die Siedlung steht heute unter Denkmalschutz, eine der Wohnungen dient sogar als Museumswohnung, die viel besucht wird.

Auch Margit Kruse ist eine, die Vergangenes in die Gegenwart holt. Den Zusammenhalt von damals in den Fokus rückt, als Kind einer Zechensiedlung. Nicht nur in ihren Krimis, auch in ihren eher anekdotischen Werken, zeichnet sie ein Bild, das zeigt, was früher gut war, vielleicht auch besser und oft eben auch nicht: Ihr Band „Ruhrgebiet: Taubengurren und Kohlenhaufen“ ist ein Stück Heimatgeschichte und entführt in eine Welt, als Mülltonnen noch Ascheneimer hießen und der Stadtteil Horst eine eigene Limonade hatte, die Horli. Und eine Konfirmation in einer Zechensiedlung „eine halbe Hochzeitsfeier war“, bei der man zwei Tage vorher begann, das Wohnzimmer auszuräumen, damit die Tafel aufgebaut werden konnte für Familie und Nachbarschaft.

Das Buch ist so etwas wie Kruses Seelenmedizin. Ein Jahr lang war sie schwer krank, das Schreiben aber zog sie trotz schmerzhafter Behandlung durch. So sind viele Ruhris. Sie fallen, richten ihre Krone auf und gehen weiter. Nehmen es an, wenn es nicht rosig ist. Und immer mehr suchen einen Weg aus dem Alltag in die kreative Welt. Vor dem Bildschirm als Schreibende, auf dem Sofa oder in der Bahn als eifrige Leser.

Geburtsjahre des Regionalkrimis waren geprägt vom Wandel

So wundert es nicht, dass die Geburtsjahre des Regionalkrimis die 1980er-Jahre sind. Als man dem Wandel nur noch wenig abgewinnen konnte, überall in Deutschland, und man irgendwie nicht mehr so recht wusste, wo man in diesem Riesenkonstrukt aus rasanter Transformation, neuen Medien und Leistungsdruck seinen Platz finden sollte. Warum denn dann in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nah liegt? In der Heimat. „So schön ist das hier vielleicht nicht, denke ich manchmal, wenn ich nach dem Urlaub zurück nach Gelsenkirchen komme“, bringt es Margit Kruse auf den Punkt. „Aber es ist das, was ich kenne, wo ich mich sicher fühle und wirklich angenommen.“

Wesentlich beeinflusst wurde das Genre des Regionalkrimis in Deutschland übrigens durch den Erfolg skandinavischer Schriftsteller, die es verstanden, ihre Heimat so atmosphärisch in ihre Geschichten zu weben, dass sie fast wie ein weiterer Protagonist wirkt. Diese literarische Auseinandersetzung mit dem, was vor der Haustür passiert, hat nicht nur für Leserinnen und Leser einen besonderen Reiz, sondern sie erfüllt auch kulturhistorisch und identitätsstiftend eine wichtige Funktion. Der Regionalkrimi trägt durch die lokale Verankerung dazu bei, die Bekanntheit von Städten und Regionen zu erhöhen und kann das Image einer Gegend positiv beeinflussen. Er ist ein Vehikel für regionale Eigenheiten und Dialekte, die es in einer homogenisierten Medienwelt zu bewahren gilt. Und ein Anker in der Schnelllebigkeit. So hält auch Margit Kruse gern in vielen ihrer Krimis an derselben Hauptfigur fest. „Die Leute lieben Margareta, ihre Mutter Waltraud, alles, was ihnen vertraut ist.“

Zusammenhalt, auch dann, wenn es mal schwierig wird

Eineinhalb Jahre braucht es, bis sie für ein Buch „fertig spazieren gegangen ist mit den Figuren.“ Ruhe und auch Inspiration findet sie dafür vor allem bei ihren Gängen über den Friedhof. „Ich mag die Atmosphäre dort.“ Auch als wir mit ihr sprechen, plant sie schon den nächsten Spaziergang dorthin. Nur Labradordame Enja kann sie nicht mehr begleiten, da sie vor kurzem verstorben ist. „Das Mitgefühl in unserer Siedlung war groß. Die Nachbarn haben ihren Trost ausgesprochen, viele haben sogar mitgetrauert. Hier kann man sich aufeinander verlassen. Das ist in einer Welt, wo viele nur noch an sich denken, nicht selbstverständlich.“

 

Lebenslauf Margit Kruse

Margit Kruse, verheiratet und Mutter einer Tochter, ist ein echtes Ruhrgebietsgewächs, wurde 1957 in Gelsenkirchen-Erle geboren und lebt mittlerweile schon lange im Stadtteil Hassel. Seit 2004 begeistert sie als freiberufliche Autorin, ihren Bürojob hängte sie zuvor an den Nagel. Nach der Veröffentlichung erster Kurzgeschichten und Erzählungen entdeckte sie das Krimi-Genre für sich. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Revier-Krimis »Eisaugen«, »Zechenbrand«, »Hochzeitsglocken«, »Rosensalz« und »Bergmannserbe«. Aktuell arbeitet sie an ihrem neunten Margareta-Sommerfeld-Krimi „Stille Nacht! Schicht im Schacht“, in dem es um die Raunächte geht. Vier Krimisammlungen sind mittlerweile von ihr erschienen, 20 Bücher hat sie verfasst, darunter sechs Weihnachtsbücher. Dazu kommen viele Autoren-Beiträge verschiedenster Art. Auch ein Film über sie in der Kurzfilm-Reihe „GE-Artet“ des Gelsenkirchener Fotografen Thomas Hoppe feiert im Juni Premiere.

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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