Heimat ist da, wo wir uns wohlfühlen. Heimat ist dort, wo wir jeden Stein kennen und es uns nichts ausmacht, wir uns deshalb zuhause fühlen, ohne rastlos zu sein. Heimat ist Nachbarschaft, Kultur, der liebste Dönermann nebenan, die beste Freundin ein paar Straßen weiter. Heimat ist individuell, doch es ist auf jeden Fall eines: Ein Gefühl.

Die Menschen im Ruhrgebiet, oft auch Ruhris genannt, sind ziemlich stolz auf ihre Heimat. Mit großen Worten verteidigen sie „ihren Pott“, wenn er mal wieder im Fernsehen oder von der entfernten Verwandtschaft beim großen Geburtstag auseinandergerissen wird. Schließlich ist das Ruhrgebiet für viele Menschen der Inbegriff von Heimat. Argumente dafür gibt es viele. Doch was sind denn eigentlich die Argumente gegen den Pott?

Auch nach zehn Jahren im Pott nicht zu Hause

„Das Ruhrgebiet ist für mich kein Ort mit Charakter.“ Das sagt zumindest Elena Hellbrink. Wie kommt es dazu? Im Gespräch mit der 29-jährigen Mediengestalterin fällt schnell auf, dass es einige Themen gibt, die sie beschäftigen.

„Als Kind im ländlichen Gebiet am Rand vom Pott ist man damit aufgewachsen, wie vielfältig, kulturell und einzigartig das Ruhrgebiet ist. Es tut mir leid, aber ich habe zehn Jahre im Ruhrgebiet gewohnt und ich sehe das ganz anders.“

29-Jährige bemängelt das Festhalten am längst vergangenen Bergbau

Elena kommt aus Xanten, ist dort aufgewachsen. Doch in ihrer Jugend suchte sie, wie so viele junge Menschen auf dem Land, das Abenteuer in der großen Stadt. Sie machte eine Ausbildung in der Gastronomiebranche in Dortmund, lebte kurzzeitig in Kleve, dann in Velbert und lange in Essen. On Top gab es ein Auslandsjahr in England. „Ich bin schon etwas herumgekommen, habe mich in unterschiedliche Kulturen und Lebensumstände eingefühlt und eingelebt.“ Aber das mit dem Ruhrpott, das sei „nix gewesen“.

Doch wieso? „Die Menschen sind eigen, was ich vollkommen in Ordnung finde. Aber diese ruppige Art, damit kann ich mich einfach nicht identifizieren. Außerdem halten sich die Menschen hier an einem kulturellen Erbe fest, dass es nicht mehr gibt. Überall steht Kohle dran, alles hat den Pott im Namen, selbst wenn es nur um einen Friseur oder einen Salatlieferanten geht. Ja, ich finde die Bedeutung und das kulturelle des Bergbaus auch charmant, aber es hat doch mit der Lebenswirklichkeit nur noch wenig zu tun. Es ist, als würden Millionen Menschen einfach in der Vergangenheit leben.“

Infrastruktur in den Ruhrgebietsstädten als „Katastrophe“

Das Ruhrgebiet – nur noch ein Abziehbild einer ehemals lebendigen Kultur? Auch die Infrastruktur bemängelt die 29-Jährige. „Der öffentliche Nahverkehr ist eine Katastrophe. Das Ruhrgebiet kollabiert unter dem Verkehr. Die Straßen sind nicht für diese Mengen an Autos ausgelegt und die Fußwege nicht selten kaputt oder gar nicht vorhanden. Als ich in Essen wohnte und dort gearbeitet habe, ist trotzdem pro Fahrtweg eine Stunde meiner Lebenszeit in Staus verloren gegangen. Und das jeden Tag. Es macht keine Freude, sich im Ruhrgebiet fortzubewegen. Egal ob im Zug, im Auto oder zu Fuß.“

Seit zwei Jahren wohnt sie in Moers, auch hier sind Ausläufer des Ruhrgebiets zu finden, auch wenn das Gebiet für viele schon zum Niederrhein gehört. Fühlt sie sich hier wohler als „mittendrin?“ „Hier ist zumindest die Innenstadt noch etwas schöner. Aber auch hier ist die Infrastruktur schlecht. Es gibt nichts für junge Erwachsene, auch die Angebote für Familien sind dürftig.“

Inklusion fehle in vielen Städten durch „eigene Straßen“ vereinzelter Kulturen

Außerdem stört sie sich daran, dass es in den Ruhrgebietsstädten oft Straßen gäbe, in denen sich Menschen aus einem anderen Kulturkreis „zusammenrotten“ und dadurch in ihrer eigenen kleinen Welt leben würden. „Das ist sehr schade und entspricht nicht dem Empfinden von Integration und Inklusion, das ich mir wünschen würde. Man lebt aneinander vorbei statt miteinander.“

Die Mediengestalterin hat in den letzten zehn Jahren gelernt, dass sie sich nicht mit dem Leben im Ruhrgebiet anfreunden kann. „Ich habe vor einem Jahr mein erstes Kind bekommen. Ich möchte nicht, dass es hier in die Kita oder auf die Schule geht. Mein Mann und ich suchen derzeit wieder nach Wohnungen in Xanten und Umgebung. Dort fühle ich mich noch heute genauso wohl wie in meiner Kindheit.“

Ob die kindliche Prägung etwas mit ihren Vorlieben zu tun hat? „Das mag sein. Aber ich wollte unbedingt im Ruhrgebiet leben, habe mir davon das rauschende und abenteuerliche Leben inklusive toller Karrieremöglichkeiten vorgestellt. Vielleicht habe ich mein Leben dort im Vorfeld romantisiert. Aber nichts holte mich wieder so auf den Teppich, wie die Realität des Ruhrgebiets. Ich möchte nie wieder zurück.“

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