Fußball und Ruhrpott, das gehört einfach zusammen. Doch die Zeiten der glorreichen Traditionsvereine sind längst nicht mehr so rosig wie früher. Dennoch können sich viele Clubs im Revier sicher sein: Die Fans gehen mit ihnen durch dick und dünn. Dass das keine Phrase ist, weiß Hajo Sommers, Präsident des Viertligisten Rot-Weiß-Oberhausen, ganz genau. Zu Besuch bei einem, der versucht, den Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft zu schaffen, um die Tradition zu erhalten.

Oberhausen. Leichter Nieselregen, eine raue Brise, der Himmel grau und riesige verwaiste Parkplätze: Nein, die Szenerie rund ums Stadion Niederrhein, der Heimspielstätte des SC Rot-Weiß Oberhausen, sieht an diesem Tag alles andere als idyllisch aus. Und laut ist es auch noch, ganz in der Nähe donnern die Autos über die A42. Die Tristesse der Anlage, die zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal liegt, ist sinnbildlich für den Verein, der seit nunmehr 10 Jahren in der Regionalliga West feststeckt. Vom Glück der „Kleeblätter“, wie die Fans ihr Team liebevoll nennen, ist nicht mehr viel übrig. Vielmehr, es sieht so aus, als wären die guten Tage der Oberhausener vorbei.

Amateurfußball ist kein Zuckerschlecken

Hajo Sommers steht am Spielfeldrand und schüttelt den Kopf: „Ein Aufstieg ist im aktuellen Ligasystem ist mehr als schwierig, denn nur der Tabellenerste steigt auf. Der Tabellenzweite ist der erste Verlierer“. Der Der 64-Jährige Sommers ist seit 2008 Präsident von Rot-Weiß Oberhausen und hat den Verein durch sämtliche Ligen begleitet – von der ersten Bundesliga in die Viertklassigkeit. Der drahtige Sommers ist in Oberhausen geboren und ist das Gegenteil des klassischen Fußballfunktionärs. Bevor er zu den Kleeblättern kam, arbeitete er im Kulturzentrum Druckluft, in der Disco „Musik Circus, als Leiter der Ausstellung im Gasometer und von 1999 bis 2021 betrieb er die Kabarett- und Kleinkunstbühne „Ebertbad“, ein zur Veranstaltungslocation umgebautes ehemaliges Schwimmbad. Er ist bekannt für seine klare Meinung, die immer wieder polarisiert. Gerade deshalb hat sein Wort im deutschen Amateurfußball Gewicht. Und er weiß: Geldverdienen ist im Amateurfußball kein Pappenstiel. Hier muss man den Zuschauern viel mehr bieten als in den höheren Ligen.

In der 220.000-Einwohnerstadt zwischen Duisburg und Essen ist man deshalb erfinderisch geworden. Wir blicken zurück ins Jahr 2008. RWO ist gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen und hat als krasser Außenseiter die Klasse gehalten. Für die hiesigen Buchmacher sind die Oberhausener vor der Saison Abstiegskandidat Nummer 1 gewesen. Auch aus Marketing- Sicht haben die Oberhausener den richtigen Ton getroffen. Unter dem Motto „Malocherschicht die 1., 2. und 3.“ hält der Verein drei Jahre die Zweitklassigkeit.

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Marketing mit Tradition: Ruhrgebietsmaloche verewigt auf Autogrammkarten

Sommers und sein Team spielen mit der Ruhrgebietshistorie des Klubs. Auf Autogrammkarten sieht man Spieler mit völlig verdreckten Gesichtern, Hammer und Schlegel in den Händen haltend. Die Fans lieben diese Melange aus Authentizität, Arbeiterromantik und Anpackertum. Das Team besteht fast ausschließlich aus Eigengewächsen. Es ist der Spirit der Maloche, der die Oberhausener Zuschauer begeistert. Sommers sagt: „Das passte damals einfach zu den Leuten“, und sein Konzept geht auf: „Wir haben Fans, die seit 70 Jahren nicht ein Spiel der Mannschaft verpasst haben. Diese Verbundenheit kannst du dir mit keinem Geld der Welt kaufen.“

Das starke Band zwischen Fans und Verein hält auch, als RWO in den Jahren nach 2012 in eine rapide Abwärtsspirale gerät. Der Verein wird 2013 direkt aus der zweiten bis in die vierte Liga durchgereicht, die Fans halten ihrem Verein trotz des sportlichen Absturzes die Treue. Denn die Kleeblätter sind mehr als nur ein Verein. Für eingefleischte Fans ist es ein Halt, eine Heimat, ein Zuhause.

Das zeigt auch der Zuschauerschnitt: Im Schnitt kommen zu jedem Heimspiel rund 3.300 Zuschauer ins Stadion Niederrhein. Das ist viel. Nur Alemannia Aachen und Ligaprimus Preußen Münster ziehen noch mehr Besucher*innen.

„Der Fußball ist nun mal eines der größten Aushängeschilder der Region“, sagt Hajo Sommers. „Entstanden ist diese Begeisterung in einer Zeit, in der viele Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Sie brauchten etwas, das sie miteinander verbindet. Im Fußball ist es egal, wo du herkommst oder was du machst. Du kommst bei den Spielen mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Das gibt Halt.“

Ohne Geld kein Fußball: Das galt schon, als die Zechen noch standen.

In der Hochzeit der Montanindustrie haben sich viele Vereine aus Mitarbeitern der Zechen gegründet, darunter auch die SG Wattenscheid 09. Eine Mannschaft aus einem beschaulichen Stadtteil im Bochumer Westen, mischte Mitte der 1990er-Jahre den Deutschen Fußball auf. Der MSV-Duisburg stand 1998 im DFB-Pokalfinale, heute spielt er drittklassig, ebenso wie Rot-Weiß-Essen.

Sind die glorreichen Zeiten der Traditionsclubs im Ruhrgebiet jenseits von Dortmund, Schalke und Bochum also gezählt? Für Hajo Sommers steht fest: „Tradition musst du dir leisten können. Mit dem Ende der Zechen, begann auch das Sterben von einigen Klubs, denn im Grunde haben
die Zechen damals das Gleiche gemacht, wie heutzutage Wolfsburg, Leipzig oder Hoffenheim“,
sagt er.

Denn auch das ist Teil der Geschichte des Ruhrgebietsfußballs, der gerne übersehen wird. Zwischen qualmenden Schloten, opulenten Fördertürmen und ganz viel Smog, ging es nämlich schon damals ums Geld – genauso wie heute.  Nur sind die umliegenden Zechen nach dem Ende des Bergbaus im Jahr 2019 alle dicht und somit auch das Geld weg.

Der Fußball hat sich verändert, das weiß auch Hajo Sommers. Deshalb müssen neue Konzepte her, um die Vereine wieder im Alltagsleben der Fans zu verankern. Fußball ist Eventsport und das kann auch in der Regionalliga funktionieren. Allerdings, das ist Sommers sehr wichtig: „Es muss alles familiär und nahbar bleiben.“

Der Fußball verändert sich – und mit ihm die Vereine

Wenn man heute in der VIP-Lounge der Oberhausener sitzt, blickt man durch riesige Panoramafenster aufs Spielfeld. Während sich die Fans früher in den Kurven nass regnen ließen, genießen heute immer mehr Geschäftspartner*innen das exklusive Feeling von Logen. Hier trifft man zwar nicht mehr auf den Kumpel von nebenan, aber auch hier geht es ums Vernetzen: „Die Logen bei uns im Stadion sind immer ausverkauft. Wir planen für die künftige Saison, zusätzliche Flächen im Stadion bereitzustellen, um so der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden.“ Zudem ist diese Art von Zuschauer*innen äußerst lukrativ für die Vereine. Wenige von ihnen bringen den Vereinen oft mehr Geld als ausverkaufte Blöcke im Stehplatzbereich.

Es bleibt ein schwieriger Spagat, alte und neue Fans unter einen Hut zu bringen. Fakt ist aber auch, die Seele eines Vereins lebt nur solange es den Verein gibt. Und: Tradition schießt keine Tore. Das ist die vielleicht bitterste Wahrheit, der sich die Ruhrgebietsvereine heute stellen müssen. Das klingt abgedroschen, birgt aber die notwendige Erkenntnis, dass es bei aller Romantik des Gestern auch eine Zukunft geben muss. Sonst wäre es keine Tradition, sondern schlichtweg Vergangenheit.

Während Hajo Sommers einen großen Schluck aus seinem Wasserglas nimmt, lugt die Sonne doch noch hervor. Fast kitschig erhebt sie sich hinter dem Gasometer, einem der bedeutendsten Industriedenkmäler der Region und eines der letzten Überbleibsel aus der Zeit der Zechen und Hochöfen. Ganz in Sichtweite des Stadions.

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