Wenn die Nacht sich langsam über Dortmund legt, beginnt – zumindest manchmal – die offizielle Schicht für Christoph Stemann. Er ist Nachtbeauftragter der Stadt. Seit 2021 fungiert er als Vermittler und „Möglichmacher“ zwischen der städtischen Verwaltung und der hiesigen Nachtszene. 

Bekannt ist Christoph allerdings nicht für seine Karriere in der Dortmunder Stadtverwaltung – und ist vielleicht auch deshalb genau der richtige Mann für den Job. Seit über 25 Jahren ist er in der Clubszene bekannt, als beliebter und gefeierter DJ Firestarter. In 40 Ländern rund um die Welt hat er aufgelegt, hat bei der Eröffnungsparty der Fußball-WM in Kapstadt Musik gemacht und sogar bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles. Eine Karriere voller Höhepunkt – die mit der Corona-Pandemie ihr jähes Ende findet.  

Aber: Er liest die Stellenausschreibung der Stadt, in der nicht nur ein fähiger Kommunikator, sondern auch jemand mit Kontakten in die hiesige Clubszene gesucht wird. Kurz darauf bekommt er den Job. Sein Wissen brauchte er vor allem in der Zeit, in der die Clubs entweder geschlossen waren oder nur unter strengsten Bedingungen wieder öffnen durften. „Das war eine harte Zeit für alle Beteiligten, aber ich war felsenfest entschlossen, die Nachtszene in Dortmund durch diese Phase zu begleiten.“ 

Mittlerweile sind die Diskotheken wieder offen, das Nachtleben läuft auf Hochtouren, sowohl organisiert als auch unorganisiert. Ein Thema, mit dem Christoph sich besonders viel beschäftigt, sind die Dortmunder Treffpunkte, die gar nicht offiziell als Party-Hotspots bekannt sind, und wo es trotzdem an jedem Wochenende hoch her geht – der Westpark, die Möller-Brücke und das Dortmunder U. Laut ist es dort, Jugendliche treffen sich zum Trinken und Quatschen, Müll bleibt liegen. Ein Ärgernis für die Anwohner. Da hilft nur eins: Reden, reden, reden! 

Kaum im Amt, etabliert der „Nachtbürgermeister“, wie er in den meisten Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen genannt wird, deshalb die „Dortmund Guides“ in der Stadt. „Dieses Konzept habe ich damals bei meinem Besuch in Kapstadt für die WM kennengelernt. Da waren Menschen, die als Kommunikatoren aufgetreten sind, um Situationen gar nicht erst eskalieren zu lassen. Das fand ich gerade an einem Ort wie Kapstadt, der sehr mit Gewalt zu kämpfen hat, besonders beeindruckend, da diese Guides nicht bewaffnet waren und es trotzdem funktioniert hat. Das hat mich nicht losgelassen und inspiriert.“ 

© Schaper

 

Das Projekt schlägt ein und kann innerhalb kürzester Zeit Erfolge verbuchen. Ein Moderationsteam aus jungen Menschen, zumeist Studierende, sind am Wochenende an den Ecken unterwegs, wo es oft zu Konflikten zwischen Feiernden und Anwohnern kommt, ausgerüstet mit passenden LED-Rucksäcken, die nicht nur für Aufmerksamkeit sorgen, sondern auch direkt erklären, wer da eigentlich gerade unterwegs ist. „Die Rucksäcke sind ein toller Eisbrecher. Dort stehen dann Dinge drauf wie ‚Frag mich was‘ oder unser Logo der ‚Dortmund Guides‘. Unsere Leute werden ständig darauf angesprochen und so ist es viel leichter, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.“ Das Konzept der Rucksäcke hat er sich in Japan abgeschaut, er ist der felsenfesten Überzeugung, dass deutsche Städte viel von anderen Ländern lernen können. „Eine meiner wichtigsten Lebenslektionen: Reisen bildet!“ 

Die ‚Guides‘ begegnen den Feiernden auf Augenhöhe, sie können und wollen nicht belehren oder gar drohen. Sie können nur appellieren, Wogen glätten, Fragen beantworten oder Mülltüten verteilen. Droht die Lage zu eskalieren, ziehen sie sich sofort zurück. „Das ist und bleibt Aufgabe von Polizei und Ordnungsamt“, erklärt Christoph. „Das passiert aber immer weniger, wir können tatsächlich erkennen, dass das deeskalierende Handeln der ‚Guides‘ wirkt und die Polizei weniger Einsätze verzeichnet. Auch die Anwohner fühlen sich abgeholt und begrüßen das Projekt.“ Eine frische Idee und Mut, diese auch umzusetzen – ist das das Erfolgsrezept des Nachtbeauftragten? „Man muss immer wieder über den eigenen Tellerrand blicken und sich etwas trauen.“ 

Leidenschaft brauche man dafür, und davon eine ganze Menge – das betont der ehemalige DJ immer wieder. „Es braucht eine Menge Ideen, ein großes Netzwerk und vor allem den Willen, immer wieder etwas dazuzulernen und dieses Wissen dann auch zu teilen und in handfeste Maßnahmen für unsere Stadt zu entwickeln.“ Gar kein so einfaches Anforderungsprofil. „Aber es macht großen Spaß zu sehen, wenn eine Idee Form annimmt und die Menschen etwas damit anfangen können.“ 

Knapp drei Jahre hat Christoph sein besonderes Amt nun schon inne – und füllt es immer wieder mit neuer Bedeutung. Als erster Nachtbeauftragter in NRW baute er in den vergangenen drei Jahren nicht nur ein eigenes Netzwerk in Dortmund auf, sondern trägt die „Mission Nacht“ auch in andere deutsche Städte. „Viele Städte haben ihr Interesse signalisiert, ebenfalls eine solche Institution einzubauen, auch das mediale Interesse hat mich überrascht.“ Christoph nimmt gerne Vertreter anderer Städte mit zu seiner „Schicht“ und führt sie durch Dortmund, um die Arbeit „am lebenden Objekt“ zu zeigen.  

© Schaper
© Schaper

 

Bereits 2022 fand zudem die Gründungsveranstaltung des bundesweiten Netzwerks „Nacht Konsil“ in Dortmund statt um Vertreter aus ganz Deutschland zusammenzubringen und Ansätze für die Arbeit in der Nacht zu professionalisieren. Das Projekt „Luisa ist hier“, das das Nachtleben noch sicherer machen soll, hat Christoph ebenfalls in der Gastronomieszene etabliert und in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt hunderte Angestellte geschult, damit diese in brenzligen Situationen helfen können. 

Auch international macht Christoph mit seinen Ideen von sich reden, bereits zum zweiten Mal war er 2024 bei der renommierten Medien-Veranstaltung „South by Southwest“ im texanischen Austin in den Vereinigten Staaten, um seine Arbeit im Ruhrgebiet vorzustellen. Die Kontakte und das Netzwerk, das er sich so aufbaut, sollen der Stadt in Zukunft noch einige Projekte verschaffen.  

Auch in Amerika ist die Idee der „Dortmund Guides“ heiß begehrt; und in Dortmund stellt sich die Gruppe immer neuen Herausforderungen. Nachdem sie bereits die Silvester-Party der Stadt auf dem Friedensplatz begleitet, eine eigene Party für Jugendliche betreut und vereinzelte Public Viewings der Champions League unterstützen konnten, begleiten die Moderationsteams als „Awareness Guides“ 2024 zudem die Europameisterschaft. In Absprache und mit Unterstützung der UEFA werden sie während der Europameisterschaft das in Dortmund bereits bekannte Konzept „Wo geht es nach Panama?“ umsetzen. 

Wer sich mit dieser Frage an Sicherheitskräfte oder die „Guides“ wendet, signalisiert damit, dass er Hilfe benötigt. Der Satz ist seit 2021 bei BVB-Spielen im Signal Iduna Park im Einsatz und wird landesweit auch bei Großveranstaltungen wie dem „Hurricane Festival“ angewendet. Nun soll er auch beim Public Viewing im Westfalenpark, in der Dortmunder Fanzone auf dem Friedensplatz sowie auf den öffentlichen Plätzen der Innenstadt für ein sicheres Gefühl aller Besucher sorgen. 

Christoph nimmt seine Stelle und seine Bedeutung als Vermittler zwischen Verwaltung und Nachtwelt ernst. „Schwarmintelligenz und dezernatsübergreifendes Teamwork sind der Schlüssel für nachhaltige Lösungen. Nun können wir in Dortmund neue, innovative und bereichernde Projekte etablieren. Ich bin stolz darauf, wie viel wir durch Engagement beider Seiten und offener Kommunikation bereits erreichen konnten.“ 

Valerie Müller

Während ihres Studiums der Germanistik und Anglistik arbeitete Valerie Müller viele Jahre als freie Journalistin für unterschiedliche Publikationen und Regionalmedien. Nach einem Volontariat sammelte sie Berufserfahrungen bei einer großen Regionalzeitung und mehreren PR-Agenturen. Seit 2022 arbeitet Valerie Müller mit Herzblut und Lokalpatriotismus an sämtlichen Ruhrgebietsthemen und Großprojekten wie dem Checkpott und legt dabei großen Wert darauf, die Menschen ihrer Heimat abzubilden.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

Letzte Kommentare