Plitsch, Platsch, das war‘s? Von wegen! Schwimmbäder sind so viel mehr als nur ein Becken voller Wasser. Sie sind Kultur- und Identitätsstifter. Und haben viele Revier-Städte geprägt.

Chlor in höchster Dosierung verteilte sich so unnachgiebig in den Augen, dass man auch Tage später kaum ohne Schmerzen sehen konnte. Ein muffiger Geruch nach alten, nassen Handtüchern brannte sich tief in die Nase. Und einen Schnitt im Fuß von zerplatzten Bodenfliesen in der eiskalten Gruppendusche gab es obendrein. Jeder Freitag, an dem ich in der Grundschule Schwimmunterricht in einem fensterlosen Schulbecken über mich ergehen ließ, hat sich für die Ewigkeit in mein Gedächtnis gegraben. Mich wundert es nicht, dass ich erst mit zehn Jahren stolz ein Seepferdchen auf den Badeanzug nähen konnte. Da durfte ich nämlich endlich in das renovierte Stadtbad und lernte das Element Wasser noch einmal völlig neu kennen, schnatterte mich in den nächsten Jahren sogar zu einem Gold-Abzeichen. Vor lauter Glückseligkeit darüber, dass es offenbar eine Welt jenseits des sehr rundlichen und äußerst aggressiven Schwimmlehrers der maroden Schüler-Schwimmhalle gab.

Gemeinschaftsgefühl zwischen Pommes frites und Chemiewerk

Wenn ich mich zurückerinnere an meine Jugend, so hob dann das Freibad das Gemeinschaftserlebnis im Ruhrgebiet auf das nächste Level. Kaum ein Ort in meiner Heimatstadt war damals so schön wie die von satt-grünen Wiesen umrandeten Becken mit Sprungturm für die Großen und der Erlebniswelt für die Kleinen. Niemals mehr schmeckte die vor Fett triefende Portion Pommes rot-weiß so gut wie dort, wo die Menschenmassen, Handtuch an Handtuch aneinandergedrängt, versuchten, die Pott-Blässe in Mallorca-Bräune zu verwandeln. Alt und Jung kamen hier zusammen, alles war zwanglos und man hatte das Gefühl, dass man zwischen historischem Zechenturm in der Ferne und aktivem Chemiewerk in der Nähe nicht mehr brauchen würde als diese Oase.

Ruhrgebiets-Badeanstalten als Sozialfürsorge

Seit jeher diente das Wasser mehr als nur der simplen Reinigung. Im Ruhrgebiet erzählt die Geschichte der Badeanstalten und Saunen eine bewegte Geschichte der Sozialfürsorge. Im 19. Jahrhundert, als das Revier industriell zu pulsieren begann, wuchs das Bedürfnis der hart arbeitenden Bevölkerung nach mehr Hygiene und einem Ort der Erholung. Damals entstanden die ersten öffentlichen Badehäuser, die funktionelle Waschanstalten für die Bergleute und Stahlarbeiter waren, aber zugleich auch Orte des Austausches. Hier war man unter denen, die einen blind verstanden. Später wurden auch auf manchen Zechengeländen Bäder für die Mitarbeiter und deren Familien gebaut.

Solequellen: Von Bergleuten durch Zufall entdeckt, für manche Stadt für immer prägend

Was heute vielleicht nur noch wenige wissen: Auch wir im Revier können Baden-Baden oder Bad Ems! Denn auch in unserer Region sind zahlreiche Thermal- und Solebäder historisch verwurzelt. Auf diese über 40 Grad warme Solequellen stießen Bergleute in etwa 500 Metern Tiefe meist selbst. Die Quellen waren einst auch der Ursprung beliebter Revierparks wie der Kurparkanlage Raffelberg in Mülheim an der Ruhr oder Königsborn in Unna. Auch in der Geschichte Wanne-Eickels spielt Wasser eine entscheidende Rolle. 1891 stießen hier Bergleute der Zeche Pluto auf eine thermalsoleführende Kluft. Mit einer Geschwindigkeit von zwei Kubikmetern pro Minute schoss das Wasser aus dem Gestein heraus. Drei Jahre später war die privat geführte Badeanstalt „Sol- und Thermalbad Wilhelmsquelle“ geboren. Männer, Frauen und Kinder fanden hier eine wohltuende Auszeit, Bergleute konnten von rheumatischen Krankheiten befreit, Schmerzen als Spuren der körperlich-zehrenden Plackerei gelindert werden.

Moderne Wellenbäder der 1970er Jahre als Freizeit-Strukturwandel

Doch wie so oft in der Geschichte des Ruhrgebiets versiegten die tatsächlichen Quellen vielerorts irgendwann und auch die Einnahmequellen im übertragenen Sinne. Strukturwandel ist nicht eindimensional. Wo Zechen schließen, verändern sich die Bedürfnisse, verändern sich die Landschaften. Und macht die Not erfinderisch. In den 1960er und 1970er Jahren entstanden im Revier erste klassische Freizeitbäder und Wellenbäder wie etwa das „Grugabad Essen“. Die Becken modern, die Liegewiesen großzügig und das Gemeinschaftserlebnis sowie das erblühende Vereinsleben ein Muss für die Identitätsstiftung. Oder dem, was davon übrigbleibt, wenn so viele prägende Zutaten wie Stahl und Kohle Stück für Stück genommen wurden.

Die Wahrnehmung dessen, was unter dem Label Freizeitangebot geführt wird, ist im Ruhrgebiet seitdem tatsächlich immer häufiger eine negative. Viele haben das Gefühl, dass ihnen mehr genommen als geschenkt wird, die Heimat weniger blüht vor Vielfalt als früher. Dies bestätigt auch die qualitativ-psychologische Wirkungsanalyse zum Leben im Ruhrgebiet, die die Brost-Stiftung und die Brost-Akademie gemeinsam mit der Akademie für Kultur, Markt, Medium (akm) durchgeführt haben. Bewohnerinnen und Bewohner des Reviers beklagen hier ganz klar die Schließung von Badeanstalten, das kleiner werdende  Sportmöglichkeiten insbesondere hinsichtlich von Vereinen und Kursen. Viele Befragte nennen das breite Kultur- und Freizeitangebot aber auch als einen der klaren Vorzüge ihrer Heimat.

Historisch ist unsere Region untrennbar mit Verlust verbunden

Und genau diese Zwiespältigkeit ist Kern des menschlichen Wesens und, wie manche vermuten, in der Ruhrgebietsmentalität besonders stark ausgeprägt. Wir wissen einerseits, dass wir in unserem Ballungsraum sehr viele Möglichkeiten haben, um uns jenseits des Berufslebens auszutoben, zu verwirklichen, Erlebnisse draußen wie drinnen zu schaffen. Wir sind andererseits aber historisch auch durch Verlust geprägt und in Teilen auch durch die Angst, in eine Art Bedeutungslosigkeit abzudriften. Und genau in diesem Moment gelingt es nur schwer, den Blick auf das zu lenken, was das Ruhrgebiet eben auch ist: ein Stehaufmännchen und ein Verwandlungskünstler, der wie kaum eine Region sonst aus Altem Neues und Anderes schaffen kann. Und nicht nur im Großen, sondern auch in Dingen des Alltags. Wie den Badeanstalten. So ist die Dichte an Angeboten rund um den Wasserspaß nirgendwo sonst im Land so groß wie bei uns. Und meist noch mit einer besonderen Geschichte des Wandels verbunden.

In der Bochumer Medi-Therme warten über 16 Saunen auf Besucher und Besucherinnen. Das Solebad Wischlingen im Dortmunder Revierpark (einst als Erholungsgebiet für Bergleute geschaffen) besticht mit Salzgrotte, während die Niederrhein-Therme in Duisburg auch noch ein großes Tauchbecken liefert. Auf der Zeche Zollverein in Essen badet man im Sommer vor der früheren Koksofenbatterie in zwei aneinander geschweißte Überseecontainer. Und Surfer müssen nicht bis an die Nordsee fahren, sondern kommen im Freizeitbad Heveney am Kemnader See in Witten schnell auf ihre Kosten. Die Liste ließe sich endlos erweitern.

Von der Badeanstalt zur Kulturbühne: Das Ruhrgebiet im Change-Prozess

Ebenso groß ist die bunte Tüte der Ideen, die aus dem Wandel heraus geboren wurden. Das Ebertbad, 1894/95 die erste Volksbadeanstalt Oberhausens, lockt heute den berühmten Jazz-Gitarristen John Scofield auf die Bühne. Ebenso wie Star-Comedian Ingo Appelt oder Kult-Sänger Guildo Horn. Weil das Schwimmbad seit den 1980er Jahren als Veranstaltungshaus Zuschauerinnen und Zuschauer begeistert. Das ehemalige Jugendstil-Hallenbad in Duisburg-Ruhrort blieb dem Element Wasser treu und beheimatet jetzt mit dem Museum der Deutschen Binnenschifffahrt das größte, umfassendste Museum seiner Art in Deutschland. Und feucht-fröhlich geht es im historischen Gebäude der Barmer Badeanstalt in Wuppertal auch in diesen Tagen zu. Allerdings wird in dem über 100 Jahre alten, unter Denkmalschutz stehenden Gebäude heute Bier gebraut und getrunken.

In seiner spirituellen Bedeutung steht das Element Wasser für Ausdauer, Beständigkeit und Ruhe und ebenso für Bewegung, weil es fließt, weil es ständig in Bewegung ist. Auch für die Naturwissenschaft ist es ein ambivalenter Stoff. Flüssig schafft Wasser Leben, als Eis lässt es fast alles erstarren. Und irgendwie passt diese Zwiespältigkeit doch ganz gut zum Ruhrgebiet. Wo Stillstand und Bewegung ständig wechseln und immerzu Wandlungsfähigkeit gefragt ist.

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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