Der Schauspieler über Heimatliebe, Schauspielerehen, seine Zukunft beim „Tatort“ und sein Faible für Erich Kästner

Wenn er ermittelt, wird auch mal die magische 10-Millionen-Zuschauer-Marke geknackt. Martin Brambach hat sich als Dresdner Kommissariatsleiter in die Herzen gespielt, schon seit 2016 ist der gebürtige Sachse Quoten-Garant beim „Tatort“, hinzu kommen bis heute über 150 Rollen in TV- und Kinofilmen. Während der Schauspieler, der auch schon zum festen Ensemble des Wiener Burgtheaters gehörte, beruflich in ganz Deutschland unterwegs ist, verlegte er seinen privaten Lebensmittelpunkt vor über 20 Jahren mitten ins Ruhrgebiet nach Recklinghausen. Warum das so ist, wieso er die Region so liebt und wie es mit dem „Tatort“ für ihn weitergeht, verrät Martin Brambach im Interview.

Wir erwischen Sie gerade in einer kurzen Drehpause für eine neue Episode des „Tatorts“. Wie viele Drehtage stehen denn für das Format aktuell zur Verfügung?

Es sind circa 21 Drehtage pro „Tatort“-Folge. Das ist schon eine sportliche Leistung. Da muss alles sitzen und zügig gehen, was selbst für erfahrene Schauspielerinnen und Schauspieler auch mal kräftezehrend sein kann. Dennoch können wir uns im Vergleich zu anderen Formaten nicht beklagen.

Vor 20 Jahren sind Sie ins Ruhrgebiet gezogen. Wieso? Die meisten Künstlerinnen und Künstler zieht es ja eher nach Berlin oder Hamburg…

Es war eine Entscheidung aus Liebe, da meine Frau dort mit ihren Töchtern lebte. Und ich habe es nicht eine Sekunde lang bereut. Wir habe eine tolle Ehe, eine wunderbare Patchwork-Familie und finde die Region und ihre Leute toll. Einerseits bin ich mit dem Rad in zehn Minuten in der Natur, mitten in den Feldern. Andererseits gibt es hier im Ruhrgebiet eine unglaubliche Dichte an kulturellen Angeboten. Blitzschnell ist man in einer anderen Stadt, es gibt zahlreiche hochwertige Theater. Es ist schade, dass die Region dahingehend noch von einigen so unterschätzt wird. Auch die Universitäts- und Forschungslandschaft ist unglaublich stark.

Sie haben auch schon in einem Buch Ihre Liebe zur Region festgehalten. „Nice to meet you, Ruhrgebiet“ ist eine Entdeckungstour voller Begegnungen mit Menschen, Landschaften und Visionen. Wie kam es dazu?

Durch Umwege. ARTE wollte dokumentarisch mit mir einen Beitrag über die Region umsetzen. Ich hatte bereits zugestimmt und wollte die Zeche Schlägl & Eisen in Herten und ihren Wandel in den Fokus setzen. Doch dann kam Corona und es war unmöglich, das pure Leben, das dort pulsiert, zu zeigen. Aufgrund der Tatsache, dass ich durch die Pandemie viel Rad durchs Ruhrgebiet fuhr, kam ich dann auf die Idee, das Revier auf diese Art zu beleuchten.

Und haben Sie einen Lieblingsort gefunden?

Alle Landschaften und Menschen haben es mir angetan, es wäre falsch, sich da auf einen Ort oder eine Begegnung festzulegen. Die alten Bahntrassen, die alten Zechen, die vielen Parks, Seen und Hügellandschaften: Jede Stadt hat so viele Facetten. Und überall gibt es eine Wurstbude, wo man eine leckere Currywurst essen kann. (lacht) Was will das Herz mehr?

© MDR Fernsehen

Gibt es aus Ihrer Sicht denn auch Baustellen im Ruhrgebiet?

Ich bin vielleicht nicht wirklich objektiv. Für mich gibt es keinen Grund, diese Region jemals zu verlassen. Ich bin so sehr in die Gemeinschaft meiner Heimatstadt hineingewachsen und empfinde vieles im Ruhrgebiet als so gut, dass Kritik jetzt Jammern auf hohem Niveau wäre. Sicher, man könnte die Anbindungen mancher Städte an den Öffentlichen Nahverkehr verbessern. Und natürlich hat die Region mit dem Strukturwandel zu kämpfen. Aber der Verlust von Arbeitsplätzen und die Angst vor dem Wegbrechen sind kein Ruhrgebiets-Phänomen, auch kein deutsches, sondern ein europäisches oder gar weltweites. Es gilt, überall auf der Welt Arbeitsplätze zu sichern, die Furcht vor Verlust, zum Beispiel durch KI, aufzufangen.

© POLYGLOTT Gräfe und Unzer Verlag GmbH

Apropos global. Sie sind beruflich viel unterwegs. Sind Sie ein Fan vom Hotel-Leben?

Ganz und gar nicht. Ich bin wahnsinnig gerne zu Hause. Bei meiner Frau und unserem jüngsten Kind, unserem Sohn Anton, der noch zu Hause lebt. Je älter ich werde, desto anstrengender empfinde ich das Leben aus dem Koffer. Ich fühle mich daheim so wohl, mit der Familie, unserem Hund, dem Tennisverein, den Rad-Touren. Ich genieße sogar solche Alltagspflichten wie das Lernen mit Anton für die Schule.

Können Sie denn unerkannt über die Straße gehen?

Es kommt schon häufig vor, dass mich die Menschen ansprechen. Ganz positiv. (lacht) Oder auch mal über die Straße rufen, dass ihnen der Film, der gestern mit mir lief, nicht so gefallen hat. Ich genieße sie aber, diese Ehrlichkeit.

Schauen Sie sich Ihre Filme auch selbst an?

Oh, ja, sogar drei- bis viermal vorab. Ich bin ziemlich selbstkritisch und brauche das, um es am Ende dann versöhnlicher zu sehen und nicht in jedem Süppchen ein Haar zu finden.

Dann sind Sie vermutlich auch sehr akribisch in der Vorbereitung einer Rolle?

Ja. Ich habe 15 Jahre Theater gespielt und dort hatte man bis zu acht Wochen Zeit, Texte zu lernen. Beim Fernsehen ist die Zeit viel knapper. Heißt: Egal, wie schnell man ist, man hat immer ein bisschen das Gefühl eines Mankos im Nacken sitzen, gerade, wenn man alles perfekt haben möchte.

© POLYGLOTT Gräfe und Unzer Verlag GmbH

Lassen Sie sich von Ihrer Frau abfragen?

Nein, ich lerne ganz für mich allein und überall. Bei dem Spaziergang mit dem Hund, im Zug oder nachts im Bett. Ich mag das aber auch, das hält mich im Kopf fit. Ich war auch jemand, der sehr gern in die Schule gegangen ist und gern für Klassenarbeiten gelernt hat. Mein Sohn verdreht da manchmal natürlich die Augen, wenn ich ihm mit der Schule helfe und davon schwärme, wie sehr ich das Lernen mag.

Und man lernt nie aus oder haben Sie schon alle Rollen gespielt, von denen Sie als Schauspieler geträumt haben?

Die sogenannten Traumrollen, wie zum Beispiel Shakespeares Macbeth, gibt es ja eher nur am Theater. Klar, wenn ich in einem Jahr fünfmal hintereinander in verschiedenen Reihen und Filmen einen Polizisten gespielt habe, sehne ich mich nach Abwechslung. Aber an sich habe ich eigentlich das Glück, viele Facetten zeigen zu können. Gerade zum Beispiel habe ich wieder für die Serie „Parlament“ gedreht. Es ist eine Satire und ich spiele einen Politiker. Es ist also mal etwas ganz anderes.

Immer mal wieder steigen Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem „Tatort“ aus. Auch im Dresdner-Team gab es schon einen Wechsel. Wie sieht es bei Ihnen aus? Schon mal damit geliebäugelt?

Natürlich ist man nicht von jedem Buch gleich begeistert, natürlich haben sich auch Produktionsbedingungen verändert. Aber grundsätzlich führe ich eine sehr glückliche, berufliche Ehe mit Sendern und Machern, inklusive einer guten Diskussions-Kultur. Und das Wichtigste: Die Figur macht mir großen Spaß.

Stichwort Ehe. Ihre Frau Christine Sommer ist auch Schauspielerin. Sind Künstler-Ehen Fluch oder Segen? Und wie organisiert man sich?

Ich empfinde es als Bereicherung. In Sachen Organisation ist es so, dass wir das immer gut hinbekommen und ja auch einige Projekte zusammen machen. Was mich ärgert, ist, dass Frauen ab 40 fürs Fernsehen immer unsichtbarer werden, so dass meine Frau mir quasi immer häufiger beim Arbeiten „zusehen“ muss. Es gibt nur eine Handvoll große Rollen, was sehr ungerecht ist und etwas über unsere Gesellschaft aussagt. Umso schöner ist es dann, wenn wir, wie jetzt für „Der Gang vor die Hunde“, gemeinsam auf der Bühne stehen.

© Jens van Zoest

„Der Gang vor die Hunde“ ist eine szenische Lesung mit Musik. Diesen Titel hatte Erich Kästner eigentlich für seinen Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ vorgesehen. Warum haben Sie genau dieses Werk ausgesucht?

Meine Frau hatte das Buch als möglichen Stoff entdeckt und hat uns alle mit ihrer Begeisterung angesteckt. 1931 durfte Kästner den Roman nur in gekürzter und zensierter Fassung veröffentlichen. Erst 2013 erschien dann die ungekürzte Version. Die Hauptfigur bewegt sich im Berlin der 1920er-Jahre, die Weimarer Republik bröckelt, der Nationalsozialismus beginnt zu erstarken. Das Werk hat Aktualität, Humor und Einfühlungsvermögen, aber auch die typische messerscharfe, kritische Stimme Kästners, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Wir sind vier Schauspielerinnen und Schauspieler, drei Musiker und bringen den Stoff mit populärer Musik aus der Zeit auf die Bühne. Premiere hatten wir bereits bei den Ruhrfestspielen vor Corona gefeiert, dann hat uns die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt sind wir seit kurzem wieder richtig durchgestartet und in vielen deutschen Städten unterwegs.

Klingt nach einer ganz anderen Welt als die des „Tatorts“…

Ja, absolut. Wir sind wie ein kleines Tournee-Theater, sehr familiär, prüfen alles selbst: vom Licht bis zum Ton – und haben großen Spaß daran. Der Beruf hat so viele Gesichter und das macht ihn auch nach so vielen Jahren besonders.

 

Über Martin Brambach

Martin Brambach wird 1967 in Dresden geboren. An der Westfälischen Schauspielschule Bochum beginnt er 1985 sein Studium, spielt danach am Kölner Schauspielhaus, bis Claus Peymann ihn ans Wiener Burgtheater holt, wo er von 1989 bis 1999 zum festen Ensemble gehört. Die Berliner Schaubühne ruft und Martin Brambach arbeitet mit namenhaften Regisseuren wie George Tabori, Einar Schleef, Mitko Gotscheff und Barbara Frey.

In Film und Fernsehen gehört zu einem den gefragtesten Charakterdarstellern und spielt sich mit fast 200 Kino- und TV-Rollen in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Seit 2016 begeistert er als Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel im „Tatort Dresden“ (ARD), führt im Thriller „Gift“ (ARD) als skrupelloser Boss hinter die finsteren Kulissen großer Pharmaunternehmen, schockiert in „Das Leben danach“ (ARD) mit den tiefgreifenden Folgen der Loveparade-Katastrophe, ermittelt in der Krimireihe „Unter anderen Umständen" (ZDF), sorgt in „Das Parlament" (WDR/One) in Straßburg für skurrile Irritationen, spielt Hauptrollen in „Das Begräbnis“, „MecklenBurger“ und vielen mehr. 2016 wird er mit dem Bayerischen Fernsehpreis für seine Rollen in „Der Fall Barschel" (ARD), „Unter Verdacht" (ARTE) und „Tatort Dresden“ (ARD) ausgezeichnet. 2017 wird Martin Brambach der Deutsche Schauspielpreis in der Kategorie „Bester Schauspieler in einer Nebenrolle“ für seine Rolle in „Der Fall Barschel“ (ARD) verliehen, zudem wird er mit dem Deutschen Fernsehpreis als „Bester Schauspieler“ in den Filmen „Der Fall Barschel“ (ARD) und „Wellness für Paare“ (ARD) ausgezeichnet. Trotz seines Erfolgs in vielen Hauptrollen bleibt sein ausgeprägtes Faible für Nebenrollen, die er mit einem Facettenreichtum ausfüllt.

Bei nationalen und internationalen Kino-Produktionen begeistert Martin Brambach auf der großen Leinwand: in „Good Bye, Lenin!“, in „Klimt“ an der Seite von John Malkovich, in den Oscar-prämierten Filmen „Das Leben der Anderen“ und „Die Fälscher“, mit Kate Winslet in „Der Vorleser“ und Colin Firth in „Kursk“. Im Sommer 2024 kommt der Film „2:1“, in dem er mit Sandra Hüller vor der Kamera steht, in die Kinos.

Auch als Autor ist Martin Brambach erfolgreich und legt für sein Buch „Nice to meet you, Ruhgebiet"" hunderte von Kilometern mit dem Fahrrad zurück. Zusätzlich engagiert sich Martin Brambach für den ambulanten Kinderhospizdienst Recklinghausen, kickt mit den „Ruhrpotthelden“ für den guten Zweck. Mit seiner Frau, Schauspielerin Christine Sommer, lebt Martin Brambach in seiner Wahlheimat Recklinghausen. Gemeinsam gehen die Beiden ihrer großen Leidenschaft für Literatur nach und touren mit ihren Lesungen durch die Republik.

DER GANG VOR DIE HUNDE - Termine

Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier 25. Mai 2024
Siegen, Apollotheater 01. Juni 2024

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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